»Eine Oper mit Fußweg über der Willy-Brandt-Straße«

Exklusiv-Gespräch. Der SPD-Fraktionschef der Hamburgischen Bürgerschaft, Dirk Kienscherf, will mit einem Highlight, einer begrünten Fußgängerbrücke über die Kreuzung Willy-Brandt-Straße/Brandstwiete, die Innenstadt attraktiv an die HafenCity mit dem neuen Überseequartier anbinden. Und für Mäzen Klaus-Michael Kühne hat er auch eine Idee!

Plus Kommentar: Flügel verleihen – von Wolfgang Timpe

Hamburgs sogenannte Domachse ist als Verbindung zwischen HafenCity und Altstadt über die Brandstwiete, den Domplatz bis hin zur Binnenalster ein wichtiges Projekt der Hamburger Innenstadtentwicklung. Das Ziel ist, eine einladende Verknüpfung der Flaniermeilen der Altstadt mit dem neuen Westfield Hamburg-Überseequartier in der HafenCity zu schaffen. Der Chef der SPD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Dirk Kienscherf, hat bislang im Stadtparlament sein Image als harter Sparfuchs und strenger Sachwalter ausgleichender sozialer Gerechtigkeit zwischen den Hamburger Stadtteilen gepflegt. Nun bläst er zum Aufbruch für „kreative Investitionen“, um „endlich richtig und mit einem Knall“ eine „absolut attraktive Verbindung zwischen Innenstadt, Altstadt und HafenCity mit neuem Überseequartier zu schaffen“. 
Foto oben. Verbindung von City und HafenCity I: Eine begrünte Holz-Fußgängerbrücke von der Innenstadt in die HafenCity würde am Domplatz und Alten Fischmarkt ansteigend die Kreuzung Willy-Brandt-Straße/Brandstwiete überqueren. Hier der Blick Richtung Norden zwischen zwei Bürohäusern hindurch gen St. Petri-Kirche. Dirk Kienscherf: „Die Brücke muss einzigartig, begrünt und zum Beispiel bei tripadvisor.de als Hamburg-Event gelistet sein.“ © Catrin-Anja Eichinger

Animiert hat ihn dazu das Online-Werkstattverfahren der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, in dem für ihn Bürger:innen und Beteiligte viele „sehr gute“, doch oft „zu kleinteilige Verbesserungsvorschläge“ gemacht hätten. Die sollten auch geprüft oder umgesetzt werden, meint Kienscherf, aber: „Eine Klein-Klein-Optimierung von Erdgeschosslagen an der Domachse reicht nicht. Wir brauchen ein Highlight, das man erleben will.“

Neue Domachse Innenstadt-HafenCity: Überquerung der Willy-Brandt-Straße mit begrünter Fußgängerbrücke

Für Stadtplanungssenatorin Karen Pein, die die fußläufige Verbindung zwischen Innenstadt und HafenCity zur Chefsache gemacht hat, sind das Online-Werkstattverfahren im Juni und die dann folgenden Ergebnisse von fünf Planungsteams nur ein erster Schritt: „Mit dem jetzt startenden Werkstattverfahren nehmen wir die Domachse als zentrale Verbindung von Altstadt, Neustadt und HafenCity in den Blick. Fünf Teams der Fachrichtungen Landschaftsarchitektur, Stadtplanung und Architektur sollen in sechs Wochen Ideen und Konzepte finden, wie auf der Domachse eine attraktive, barrierearme Wegeführung geschaffen werden kann, mit spannenden Erdgeschossnutzungen und Begegnungsräumen. Ich bin sehr gespannt auf die ersten Zwischenergebnisse. Sie dienen der weiteren Diskussion und als Ansatzpunkte für nachfolgende Planungsprozesse.“

Kienscherfs zugespitzte Querungsideen für Fußgänger über die Willy-Brandt-Straße könnten auch den Nerv von Oberbaudirektor Franz-Josef Höing treffen, der von einer attraktiven Zukunft träumt: „Wäre es nicht wunderbar, wenn man die Strecke vom Jungfernstieg bis an den Magdeburger Hafen und zurück zum Flanieren nutzen könnte? Der in Teilen unwirtliche Raum wird aber heute eher als Durststrecke und Hindernisparcours wahrgenommen. Es braucht also dringend Ideen und Anlässe, um die Aufenthaltsqualität dieses Stadtraums deutlich zu steigern.“

Nichts anderes stellt sich auch Fraktionschef Dirk Kienscherf vor, allerdings eher im Sinne von „Think Big“: Eine Fußgängerbrücke über den Willy-Brandt-Highway muss für ihn „einzigartig, begrünt und bei trip­advisor.de als Hamburg-Event gelistet sein“. Lesen Sie mal seine sicher Debatten stiftenden Überlegungen.

Verbindung von City und HafenCity II: Eine Holz-Fußgängerbrücke würde hinter der Kreuzung Willy-Brandt-Straße/Brandstwiete absteigend direkt zur Kornhausbrücke über den St. Annen-Platz in die HafenCity und über den Überseeboulevard in das Westfield Hamburg-Überseequartier führen. Dirk Kienscherf: „Eine Klein-Klein-Optimierung von Erdgeschosslagen an der Domachse reicht nicht. Wir brauchen ein Highlight, das man erleben will.“ © Catrin-Anja Eichinger

Herr Kienscherf, Sie wollen die New Yorker „High Line“ nach Hamburg bringen, um Innenstadt und HafenCity mit dem neuen Überseequartier attraktiv zu verbinden. Eine begrünte Fußgängerbrücke über die Willy-Brandt-Straße (siehe Grafik ­Seite 9) – warum? Ich will keine Kopie des High-Line-Projekts aus New York, das ist für mich nur eine von weiteren möglichen Ideen, um festzuhalten, da wir für eine attraktive Domachse und Willy-Brandt-Straßen-Querung etwas Außerordenliches, absolut Einzigartiges brauchen, damit die Hamburger:innen wie auch unsere Gäste unbedingt dahin wollen. Die Domachse braucht eine weit über Hamburg hinausreichende Attraktion, damit sie gerne genutzt werden kann.

Also ein touristisches Highlight? Nicht nur, es soll auch für Hamburger:innen ein attraktives Ziel werden. Was immer wieder gern vergessen wird: Die Innenstadt, Altstadt und HafenCity sind ein Innenstadt-Quartier mit besonderer Wasserlage an Binnenalster und Elbe. Wir brauchen dringend radikal neue Ideen für eine Domachse mit Signalwirkung, gerade vor dem Hintergrund, dass wir in der Innenstadt einige Leerstände haben und die City einer starken Transformation ausgesetzt ist, hin zu einem lebenswerteren Stadtteil, der sich nicht abends schlafen legt. Umso mehr, als die Domachse städtebaulich doch sehr herausfordernd ist. Da kann man nicht nur die Gehwege schöner gestalten und ordentliche Ladengeschossnutzungen verwirklichen. Das ist schon gut, reicht jedoch nicht. Wir brauchen eine städtebauliche und nachhaltige Attraktion, ein superkräftiges i-Tüpfelchen, wo Hamburger:innen und Touristen sagen: Da muss ich hin.

Im Juni fand dazu ein Online-Werkstattverfahren der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen statt, bei dem Anlieger, Grundstückseigentümer, Unternehmer:innen, einfach jeder Vorschläge zur Verbesserung der Domachse einbringen konnte. Wie beurteilen Sie die Anregungen? Da sind sehr gute Sachen dabei, die geprüft werden und dann womöglich auch umgesetzt werden sollten. Doch, und das meine ich mit vollem Respekt für die dort bislang öffentlichen Anregungen, es sind auch häufig doch zu kleinteilige Verbesserungsvorschläge.

VITA Dirk Kienscherf ist gebürtiger Hamburger, seit 2001 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und seit 2018 Vorsitzender der SPD-Fraktion. Seine persönlichen politischen Schwerpunkte sind die Themenbereiche Stadtentwicklung und Verkehr. Der 57-jährige gelernte Industriekaufmann und Diplom-Kaufmann verantwortet für die SPD seit 1997 den Bereich Hamm-Borgfelde. Er lebt in Hamburg-Hamm, hat eine Partnerin und einen Sohn.

Inwiefern? Eine Klein-Klein-Optimierung von Erdgeschosslagen an der Domachse reicht nicht, damit diese Verbindung zwischen Jungfernstieg und Binnenalster sowie HafenCity und dem Westfield Hamburg-Überseequartier von ganz vielen Menschen genutzt wird. Wir brauchen ein Highlight auf der Domachse, das man unbedingt erleben will.

Die City-Probleme sind ja lange bekennt. Warum erst jetzt die Offensive? Treibt die Eröffnung des Überseequartiers im Frühjahr 2024 alle an? Ja, auch. Doch besser jetzt und richtig als halbherzig oder überhaupt nicht gemacht. Inzwischen können auch die Innenstadtakteure akzeptieren, dass die HafenCity als Innenstadtquartier zur City gehört und umgekehrt. Und stärker als in der Vergangenheit haben jetzt viele wirklich begriffen, dass Innenstadt und HafenCity sich wechselseitig unterstützen und Besucher:innen der jeweiligen Orte spannend animiert werden sollten, zwischen den Quartieren der gemeinsamen City zu wechseln. 

Was fasziniert Sie an der Idee des High-Line-Projekts aus New York? Wenn bessere und markantere Vorschläge kommen: gerne erwünscht. Was ich wichtig finde: Eine mögliche Fußgängerbrücke über die Willy-Brandt-Straße muss einzigartig, begrünt und zum Beispiel bei tripadvisor.de als Hamburg-Event gelistet sein. 

Warum ist der Diplom-Betriebswirt Kienscherf plötzlich so offensiv? Weil wir jetzt kreative Investitionen in unsere Innenstadt und deren Verbindungswege brauchen. Wir brauchen Impulse für verrückte Ideen, um etwas Besonderes zu schaffen.

Das kostet Geld, richtig Geld, das die Stadt zurzeit eher nicht hat. Das ist kein Freibrief zum Geldausgeben, und der Bund muss dabei auch mithelfen. Doch wenn Konzept und Attraktivität des Projekts gefunden sind, dann ab. Hamburg braucht an dieser Querung ein Highlight, und ich setze auf die Ideen der fünf Planungsteams im Werkstattverfahren.

Können Sie sich denn für ein solches Leuchtturmprojekt auch eine Public-private-Partnership, ein gemeinsames Projekt zwischen der Stadt und einem Investor, vorstellen? Der Unternehmer (Kühne + Nagel), Milliardär und Mäzen Klaus-Michael Kühne will ja Hamburg ein Opernhaus auf dem Baakenhöft schenken, betreiben soll es später die Stadt. Ist so eine Konstruktion bei knappen Kassen denkbar? Also erstens glaube ich, dass die Hamburger auf dem Baakenhöft kein Opernhaus wollen und wir als SPD uns auch andere Leuchtturmprojekte auf dem letzten Filetgrundstück der HafenCity vorstellen können. Aber auf Ihre Frage nenne ich Ihnen gerne eine vielleicht etwas provokantere Idee: Wie wäre es im Verlauf der Domachse mit einem Opernhaus von Herrn Kühne über der Willy-Brandt-Straße und damit verbunden eine attraktive Fußgängerquerung darunter? Das wäre ein städtebauliches Ausrufezeichen für Hamburg, wenn man auf der vielbefahrenen Willy-Brandt-Straße auf ein Opernhaus mit einzigartiger Architektur zufahren würden und zugleich es auch eine für Fußgänger attraktive Querung von der Innenstadt in den HafenCity und andersherum geben würde.

Sie meinen das Ernst? Hundertprozentig. Eine Oper mit Fußweg über der Willy-Brandt-Straße ist erstens ingenieurbaulich kein Hexenwerk, und zweitens hätte es mit Elbphilharmonie, Elbtower und Überseequartier eine Leuchtturmqualität, über die man international sprechen würde. 

Also kein neues Opernhaus auf dem Baakenhöft, wie es sich Mäzen Klaus-Michael Kühne am Baakenhöft wünscht, sondern über einer der meistbefahrenen Straßen Hamburgs? Ganz genau. Das Projekt einer attraktiven Domachse kann man, gern noch einmal betont, meines Erachtens nicht mit Klein-Klein-Lösungen oder vereinzelten Verschönerungsmaßnahmen bei Ladenlokalen oder auf Erdgeschossebene erfolgreich umsetzen. Das alles ist wichtig und wird gebraucht, doch es reicht als lokale Anziehung nicht aus.

Auch gerne noch einmal: Warum? Man braucht einen attraktiven städtebaulichen und nutzungsattraktiven Hingucker, damit die Menschen, die Hamburg besuchen, zum Beispiel dieses Event eines Opernhauses im „ersten Stock“ und einer damit verbundenen, toll begrünten Fußgängerbrücke erleben wollen. Die High Line in New York, diese ehemalige U-Bahn-Hochstrecke im New Yorker Meat-Distrikt, wollen alle New-York-Besucher unbedingt kennenlernen – und New Yorker benutzen sie als Flanier- und Erholungspromenade. Eine solche Attraktivität, eine solche Magnetkraft, wünsche ich mir für die künftige Querung der Domachse über die Willy-Brandt-Straße. Ob Opernhaus, begrünte Brücke oder welche andere herausragende Idee mit Strahlkraft auch immer: Hauptsache, es ist ein Muss, diesen Ort Hamburgs zu sehen und zu nutzen. Denn dann können sich Innenstadt und HafenCity, Anwohner:innen, Einzelhändler und Ladenlokalbetreiber sowie Gastronomen und Kulturanbieter entlang der Domachse freuen. Das wäre dann keine rein nutzungsorientierte lokale Fußgängerbrücke mehr, sondern ein spannender Hamburg-Ort mit Wow-Effekt! Das Gespräch führte Wolfgang Timpe

Kommentar: Flügel verleihen – von Wolfgang Timpe

Ja, nicht wundern, Hamburg kann von Hannover lernen. Jahrzehntelang führte eine temporär gedachte Stahlbrücke über den zentralen Aegidientorplatz zur Entlastung des Innenstadtverkehrs. Funktionierte. Warum also keine effiziente temporäre Lösung einer begrünten Holzfußgängerbrücke vom Domplatz beginnend über den Alten Fischmarkt und den sechsspurigen Willy-Brandt-Highway hinweg als Eintrittstor in die HafenCity? Im Zweifel machen.

Nur eine von Dirk Kienscherfs Ideen mit Blick auf das Westfield Hamburg-Überseequartier in der Hafen­City, das im Frühjahr 2024 eröffnen will. Im exklusiven Gespräch mit der HafenCity Zeitung (Seite 8) setzt der SPD-Fraktionschef der Hamburgischen Bürgerschaft noch eine Alternative drauf. „Das ist doch schön, dass der Mäzen Klaus Kühne der Stadt ein Opernhaus schenken will. Das muss ja nicht, wie von ihm angedacht, auf dem Baakenhöft stehen, sondern könnte wie die Elbphilharmonie ein Leuchtturmprojekt über der Willy-Brandt-Straße sein – mit ­integrierter Fußgängerbrücke von der sogenannten Domachse in die HafenCity.“ Rumms. Das sitzt. 

Egal, welche Lösung die fünf Architektenbüros, die mit Vorschlägen für eine kreative Aufwertung der Domachse und einer attraktiven Fußgängerquerung der Willy-Brandt-Straße beauftragt sind, vorschlagen: Endlich wird von Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein und vom SPD-Fraktionschef Kienscherf mit der fußläufigen Verbindung zwischen der City an der Alster und der HafenCity an der Elbe ernst gemacht. Gut so, denn die Innenstadt kann eine attraktive Anbindung der täglich 45.000 Besucher:innen des neuen Überseequartiers gebrauchen. Die kommende Eröffnung des Überseequartiers verleiht der Stadt offenbar Flügel. Endlich. 

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