In seiner Kolumne »Literatur zur Lage« (LiZuLa) #78, erliest der HCZ-Autor Jan Ehlert neue Korrespondenzen von Afrika und Heimat sowie literarischen Dickhäutern und dem Sichzuhausefühlen
Die ganze Stadt ist in Aufruhr. Vieles haben die Menschen schon durch die Tore ihrer Heimat kommen sehen. Doch so etwas wie heute noch nie: Langsam, gemessenen Schrittes, wandert ein Elefant durch ihre Straßen.
Foto oben: Foto oben: Der Portugiese José Saramago erinnert mit „Die Reise des Elefanten“ an eines „jener Naturwunder“ in Wien. © picture alliance / PublicAd | Mirko Hannemannan eines „jener Naturwunder“ in Wien. © picture alliance / PublicAd | Mirko Hannemann
Der portugiesische Schriftsteller José Saramago erinnert mit seinem Roman „Die Reise des Elefanten“ an diese historische Begebenheit, als eines dieser mächtigen Tiere nach Österreich kommt, eines „jener Naturwunder, welches die Wiener ebenso in Erstaunen versetzen wird wie all die Menschen in Portugal, Spanien und Italien, Länder, die, wie man gerechterweise sagen muss, nicht gerade zu den barbarischen zählen“.
500 Jahre ist es her, dass Soliman, so hieß der Elefant, die Stadt Wien betrat. Doch noch heute würde ein solches Tier bei uns Am Kaiserkai oder auf der Versmannstraße die Menschen mindestens in Erstaunen versetzen. Das Angebot – oder soll man sagen: die Drohung – des botswanischen Ministerpräsidenten, 20.000 Elefanten nach Deutschland zu schicken, war daher wie geschaffen für das Nachrichtenloch des noch nicht vorhandenen Sommers.
Das Afrika-Haus erinnert an die Faszination, die afrikanische Staaten zu Zeiten des Kolonialismus ausübten. Aber wie ging und geht es den Menschen dort? Wie blicken sie auf Deutschland?
Dahinter steckt allerdings ein ernsteres Problem. Denn anders als bei uns sind in Botswana Elefanten in den Straßen kein seltenes Bild. Verwüstete Dörfer und zerstörte Felder sind die Folge. Zudem lebt das Land von der Großwildjagd, die Deutschland verbieten möchte.
Das Erschießen von Wildtieren zum Vergnügen von deutschen Jägern zu verbieten klingt erst einmal richtig. Doch wie eigentlich immer im Leben ist die Sache komplexer. Davon erzählt die Niederländerin Gaea Schoeters in ihrem gerade erschienenen Roman „Trophäe“. Am Beispiel eines weißen Jägers, der in der afrikanischen Savanne ein Spitzmaulnashorn schießen möchte, reflektiert sie auf großartige, unbequeme Weise unser Verständnis von Mensch und Tier, von Moral und Natur, von Europa und Afrika: eines der besten Bücher dieses Frühjahrs.
Wer Elefanten in Hamburg sehen möchte, dem bleibt der Weg zu Hagenbeck – oder in die Große Reichenstraße zum Afrika-Haus. Die denkmalgeschützte Fassade erinnert daran, welche Faszination die afrikanischen Staaten zu Zeiten des Kolonialismus ausübten. Aber wie ging und geht es den Menschen dort? Wie blicken sie auf Deutschland? Der Dichter Ozan Zakariya Keskinkılıç nimmt auch hier den Weg über den Elefanten. In einem noch unveröffentlichten Gedicht erzählt er aus dessen Sicht, warum er sich in Berlin nicht heimisch fühlt – und Deutschland schnell wieder verlassen möchte: zu kalt das Wetter, zu kalt die Herzen der Menschen. Anstatt sich über das Angebot aus Botswana zu empören, sollten wir daher lieber daran arbeiten, unser Land zu einem Ort zu machen, an dem man sich willkommen fühlt. Als Elefant, aber vor allem auch als Mensch. Denn erst dann trifft zu, was José Saramago behauptete: dass wir nicht zu den barbarischen Ländern zählen. Jan Ehlert