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City & HafenCity: »Wir sind stolz auf die Veränderungen!«

Interview. Der Senator für Verkehr und Mobilitätswende, Dr. Anjes Tjarks, über die Fahrradstadt Hamburg, Tempo 30 in der HafenCity und die Verkehre am neuen Überseequartier 

Wohl kaum ein anderer steht so authentisch als Eigen­marke seiner Behörde im Hamburger Senat: Dr. Anjes Tjarks, Senator für Verkehr und Mobilitätswende. So kommt er auch zum Gespräch mit der HafenCity Zeitung in die Redaktionsräume Am Kaiserkai mit seinem schwarzen Nerd-Drahtesel. Den ihm zustehenden Dienstwagen braucht er auch im dritten Jahr des Regierens nicht. „Erstens macht mir Radfahren Spaß, und zweitens ist es mein tägliches Sportprogramm, damit ich nicht in die sitzende, Keks essende Politikerfalle laufe“, schmunzelt er.
Foto oben: Minuten-Erholung für den radelnden Verkehrssenator auf dem Feelgood-Sofa der HCZ-Redaktion. Zum Westfield Hamburg-Überseequartier hat er eine klare ­Meinung: „Mit Eröffnung des ­Überseequartieres wird es auch mehr Verkehr geben. Das ist unbestritten. Doch es wird immer gerne vernachlässigt, dass es schon lange die U4 gibt, die mit der Station Überseequartier direkt ins neue Center führen wird. Das ist für mich großartige Verkehrsplanung und perfekte ÖPNV-Anbindung. Das ist ein Erfolgsprojekt, was gerne von Kritikern vergessen wird.“ © Catrin-Anja Eichinger

Fehlende Tempo-30-Maßnahmen in der HafenCity ärgern den Senator: Doch „da  wird sich 2024 noch einiges tun – auch in der HafenCity“. © Catrin-Anja Eichinger

Dabei verhagelte ihm die aktuelle ADAC-Studie „Mobil in der Stadt“ vom 30. Januar 2024 die Laune. Hamburg ist darin nur auf Rang zehn gelistet, Dresden auf Platz eins. Die Verkehrsstimmung in der Freien und Hansestadt ist mies, fehlende Parkplätze, Baustellen und Staus ärgern Autofahrer,  alle meckern (zu recht!) über die E-Scooter, und Radfahrer finden, dass die Radwege zu langsam wachsen und häufig viel zu schmal sind. Experten beklagen die schmale Datenbasis der Erhebung von 607 Befragten in 15 deutschen Großstädten – forscherregulär sind 1.000 Befragte. 

Behördensprecherin Rika Bootz kurz vor Druck des nachstehenden HCZ-Interviews mit ihm in der Februar-Ausgabe zur ADAC-Studie: „Subjektive Umfragen können eine sinnvolle Ergänzung zur Erhebung von gemessenen Daten sein. In der Umfrage des ADAC werden Konflikte zwischen den unterschiedlichen Verkehrsformen – gerade auch mit E-Scooter-Fahrern – als eines der größten Ärgernisse im Alltag gesehen. Dies bestätigt auch die Rückmeldungen, die wir auf anderen Wegen erhalten und bestärkt uns darin, beispielsweise die Radinfrastruktur, die auch von E-Scootern genutzt wird, möglichst baulich getrennt vom Kfz- und vom Fußverkehr auszubauen. Dies reduziert Konflikte und verbessert gleichzeitig das Verkehrsklima, wie beispielsweise die Situation am Jungfernstieg zeigt.“ Tja, zwischen Verkehrsmaßnahmen und Verkehrserleben, klafft halt eine Lücke. Der Senator der Pop-up-Bikelanes und Fan sicherer eigener Radspuren bremst so eine Umfrage gleichwohl nicht aus: „Wir haben inzwischen 228 Kilometer Radwege neu erschlossen, das sind 64 Prozent mehr gegenüber der letzten Legislaturperiode.“ Dass nicht alles nach seinem Gusto läuft, etwa bei Tempo 30 kann er nicht immer ändern, aber aufgeben ist für den Rad-Maniac und ÖPNV-Fan keine Option. Das Gespräch: 

Herr Tjarks, Sie sind jetzt seit rund dreieinhalb Jahren im Amt. In rund einem Jahr sind wieder Bürgerschaftswahlen. Welche drei wichtigsten Punkte haben Sie als selbst ernannter Mobilitätswende­senator erreicht? Der wichtigste Punkt ist für mich der Ausbau des Schnellbahnnetzes. Wir haben gerade Anfang des Jahres 1,3 Milliarden Euro vom Bund für den Ausbau der U5 bekommen, und soeben komme ich aus Hammerbrooklyn von einem Marktdialog für die S4, um leistungsfähige Firmen für den Ausbau der S4 zu gewinnen. Der zweite große Punkt ist die Fahrradstadt Hamburg, der Ausbau der Fahrrad­wege geht stetig voran. Wir haben bis heute 228 Kilometer neue Radwege und Radfahrstreifen erstellt, das sind immerhin 64 Prozent mehr gegenüber der letzten Legislaturperiode – und die Qualität der Radwege verbessert sich laufend. Hamburg hat inzwischen viel mehr Radfahrer:innen, und auch die Radwege und die sicheren, gegen den fließenden Verkehr abgesicherten Radwege nehmen ständig zu. Der dritte wichtige Punkt ist digitale Mobilität. Die App-Angebote im Bereich des ÖPNV und vor allem auch das Deutschland-Ticket, dass es auch in diesem Jahr weiter für 49 Euro bei uns geben wird, sorgen für Entbürokratisierung und leichteren Zugang deutschlandweit zum nachhaltigen Bahn- und ÖPNV-Verkehr. Sie können landesweit einfach überall einsteigen. 

Anjes Tjarks, Senator für Verkehr und Mobilitätswende, mit dem „Holon Mover“: Der autonom fahrende Shuttle-Kleinbus wird 2024 in Hamburg unterwegs sein. Wir haben uns zusammen mit dem HVV, dem Hamburger Verkehrsverbund vorgenommen, dass im Jahr 2030 rund 80 Prozent der Wege in der Stadt klimafreundlich zurückgelegt werden sollen, also mit Bus und Bahn, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. © picture alliance/dpa | Markus Scholz

Die Digitalisierung und das autonome Kleinbusfahren sollten in der HafenCity mit dem Kleinbus „Heat“ mal zur Serienreife gebracht werden, für die letzte Meile in den Vororten als Anschluss an den ÖPNV. Das Projekt ist eingeschlafen, oder? Heat war ein spannendes Projekt zu seiner Zeit, aber es ruckelte doch mächtig und konnte nicht in den öffentlichen Verkehr integriert werden. Wenn Sie heute ein autonomes Fahrzeug betreten, fährt das reibungslos im Stadtverkehr mit. Es ist noch nicht so ausgereift, sodass es schon eine Straßenzulassung ohne Sicherheitsfahrer in Deutschland geben kann. Wir werden in Hamburg schon in diesem Jahr mit den autonomen Fahrzeugen – noch mit Sicherheitsfahrern dabei – starten. Der Fortschritt, den das auto­nome Fahren gemacht hat, ist gigantisch.

Mit welchen Modellen und auf welchen Strecken denn? Man braucht doch die Funkverbindungen entlang der Strecke? Dass man früher die Infrastruktur der Funkverbindungen in den Straßen verbaute, hat sich überholt. Heute wird das alles, wenn man so will, über das Datennetz ­gesteuert. Zum Beispiel mit dem Mobileye-System von Intel gibt es eine ungeheure Datensammlung schon im Fahrzeug selbst, das mit jeder Fahrt mehr lernt. Ein Fahrzeug, etwa ein Volkswagen, ist Millionen Mal eine bestimmte Straße entlanggefahren, hat an derselben Ampel gebremst und angefahren, bei Regen, Sonnenschein oder Schnee und einer bestimmten Höchstgeschwindigkeit. Daraus lernt das Fahrzeug beziehungsweise die Datenbank, wie das Fahrzeug sich verhalten muss. Aus den Daten entsteht der entsprechende Algorithmus, der die Fahrbefehle generiert. Also: Es wird den autonom fahrenden „ID.Buzz“, den Nachfolger des VW-Busses, geben, der mit einem noch vorgeschriebenen Sicherheitsfahrer an Bord selbstständig fahren wird. Und der „Holon Mover“ wird als autonom fahrender Shuttle-Kleinbus in Hamburg unterwegs sein. Wir haben uns zusammen mit dem HVV, dem Hamburger Verkehrsverbund vorgenommen, dass im Jahr 2030 rund 80 Prozent der Wege in der Stadt klimafreundlich zurückgelegt werden sollen, also mit Bus und Bahn, zu Fuß oder mit dem Fahrrad.

Der autonom fahrende ID.Buzz von VW auf The New York International Auto Show 2023. Anjes Tjarks: „Wir werden in Hamburg schon in diesem Jahr mit den autonomen Fahrzeugen – noch mit Sicherheitsfahrern dabei – starten. Der Fortschritt, den das auto­nome Fahren gemacht hat, ist gigantisch.“ © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Ron Adar

Deswegen bekommen Sie zurzeit viel Gegenwind von den Autofahrern, die sich unter anderem über Parkplatz-Vernichtungen, zu viele Baustellen und wie jüngst über zu viele Schlaglöcher und zu schlechte Straßenzustände ärgern. Die Baustellen gibt es unter anderem, weil wir genau den Zustand der Straßen verbessern wollen. Auch hier haben wir gegenüber der vorherigen Legislaturperiode 27 Prozent mehr Straßen pro Jahr saniert. Von 2020 bis 2022 waren es durchschnittlich 190 Fahrstreifenkilometer pro Jahr. 

64 Prozent mehr Rad­wege gegenüber 27 Prozent mehr für den Straßenbau bemängeln die Kritiker gerade. Doch zurück zum Fahrrad. Was unterscheidet denn die Fahrradstadt Hamburg zum Beispiel von dem Fahrrad-Mekka Utrecht? Wenn man die tollsten Fahrradstädte der Welt aufzählt, ist Utrecht sicher unter den Top Drei dabei. Und in Utrecht ist natürlich das Fahrrad das zentrale Fortbewegungsmittel der Stadt. In Hamburg liegen wir inzwischen bei sehr guten 22 Prozent.

Sehr gut? Ja, denn wir kommen von 13 Prozent aus dem Jahr 2008. Also wir haben uns schon jetzt mehr als verdoppelt. Das heißt, wir sind dabei, wirklich eine Fahrradstadt zu werden. Utrecht ist erstens eine andere Nummer, weil die Stadt deutlich kleiner als Hamburg ist …

… mit knapp 370.000 Einwohnern gegenüber Hamburgs 1,86 Millionen. Und das zweite Thema ist, dass Utrecht schon lange das Konzept als Fahrradstadt verfolgt und zum Beispiel am Bahnhof ein Fahrradparkhaus mit 12.500 Plätzen hat und in der Innenstadt sichere, vom fließenden Individualverkehr weitgehend durchgängig getrennte Fahrradwege. Da sieht man, was wir noch für ein Potenzial haben. Wir wollen demnächst das erste durchgängige Radnetz in Hamburg bauen, die Radrouten. Für die Sicherheit und ein entspanntes Radfahren ist eine durchgängige Rad-Infrastruktur erforderlich. Das weitere Bauen von besseren und breiteren von der Straße getrennten Radwegen bleibt weiterhin ein Ziel der Mobilitätswendebehörde.

Was zum Beispiel? Natürlich wäre ich bei der Frage des Umbaus des Hamburger Hauptbahnhofs gerne schon viel weiter. Das Projekt steht nicht still, aber es ist extrem komplex. Ganz Hamburg weiß, dass wir seit 30 Jahren einen größeren Hauptbahnhof brauchen. Jetzt haben wir angefangen, das mal zu machen, und haben auch spannende Architektenentwürfe für den künftigen Hauptbahnhof bekommen und den Siegerentwurf abgesegnet.

Was hat Sie bislang geärgert, weil Sie wenig oder nichts bewegen konnten? Ich versuche, mich mit Ärger nur kurz aufzuhalten. Wenn Sie alles an sich herankommen lassen als Verkehrssenator, dann klingelt minütlich das Telefon. Man muss schon ein bisschen darauf achten, dass man sich nicht alles und jederzeit zu eigen macht. Auch, weil ich nicht alles selbst ändern kann. Ich würde mir natürlich wünschen, dass bestimmte Dinge einfach auch schneller vorangehen würden. 

Und wo hakt es? Damit der generelle Umbau losgehen kann, müssen wir das Gleisfeld verändern und gleichzeitig müssen wir die Altmannbrücke und die Steintorbrücke, die beiden wichtigsten Brücken südlich des Hauptbahnhofes, erneuern. Wir werden auch eine neue S- und U-Bahn-Station mit einem großen Vorbau und einem großen Nebenbau realisieren müssen. Und das alles muss passieren, indem die Stadt und der Hauptbahnhof trotzdem weiter funktionieren, und zwar sowohl für den Fahrrad- und Fernverkehr als auch für den Auto- und den normalen Bahnverkehr. Das ist eine echte Herausforderung. 

Mobilitätswende-Senator Anjes Tjarks zu den Verkehren am neuen Überseequartier: „Es wird jetzt darum gehen, dass die Pkw- und Anlieferverkehre vernünftig und leistungsfähig abgewickelt werden. Und dass das mit der vorhandenen Infrastruktur gelingt, kann ich mir vorstellen.“ © Catrin-Anja Eichinger

Nicht dass wir Stuttgart 21 in Hamburg bekommen. Das wird nicht Stuttgart 21, weil die Leute klar sehen, dass wir hier dringend einen deutlich größeren und leistungsfähigeren Hauptbahnhof brauchen. Das ist aus meiner Sicht total klar, und der Entwurf ist auch baulich aus meiner Sicht sehr gelungen. Es ist nur so, dass die Herausforderungen, die damit verbunden sind, eben wirklich immens groß sind und auch die Finanzierungsherausforderungen für die Stadt, den Bund und die Deutsche Bahn mit vielen Milliarden Euro erheblich sind. Wir arbeiten daran, und es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass das gelingt. Das würde mich freuen.

Dazu passt, dass Sie gerade vom Bundes­minister für Verkehr und Digitales, Dr. Volker Wissing, mehrfach millionenschwere Mobilitäts-Projektfördermittel nach Hamburg geholt haben. Sind Sie so eine Art grüner Johannes Kahrs, der frühere SPD-MdB und Dagobert Duck Hamburger Projekt-
finanzierungen, der unter anderem allein 120 Millionen Euro für die Restaurierung der „Peking“ fürs Deutsche Hafenmuseum auf dem Grasbrook an Land gezogen hat?
Definitiv nein. Ich möchte mich auch nicht mit niemandem vergleichen, sondern einfach meine Aufgabe wahrnehmen, dass Hamburg auch in Zukunft das Wirtschafts- und Kraftzentrum Norddeutschlands bleibt. Hamburg hat große verkehrliche Herausforderungen und bringt Leistungen, die wir für den Rest Deutschlands erbringen müssen. Das ist der Hafen mit seinen Planungen für den Auto- und den Zugverkehr. Und das ist wie schon besprochen der Hauptbahnhof als größter Bahnhof Deutschlands. Vor dem Hintergrund hat Hamburg einen großen Bedarf an Bundesfördermitteln, weil eben diese großen Projekte gestemmt werden müssen, die es so, in der Dichte, in der Qualität und in der Größe sonst kaum gibt in Deutschland. Dafür sind wir auf eine gute Zusammenarbeit mit dem Bund angewiesen, wie auch der Bund darauf angewiesen ist, dass die Vorhaben laufen. 

Wenn die Ampel in Berlin so erfolgreich und geräuschlos wie Sie mit Minister Wissing als gelb-grüne Partnerschaft agieren würde, hätte Berlin weniger Probleme. Ich finde, dass Bundesminister Wissing gerade in Bezug auf die Deutsche Bahn vieles richtig macht. Er ist nicht Mitglied meiner Partei, und wir haben auch unterschiedliche Meinungen, doch am Ende des Tages erwarten die Menschen von uns Politikern, dass wir das Land und die Stadt voranbringen. Und deswegen ist das auch meine Aufgabe, das zu tun, und die nehme ich mit großer Freude wahr. 

Aber die Chemie stimmt schon bei Ihnen, Sie arbeiten offenbar beide eher lösungsorientiert? Wir sind beide pragmatisch orientiert – und zugleich auch sehr verschieden. Herr Wissing ist Mitglied der Liberalen, ich bin Mitglied der Grünen, doch wir haben beide ein Verständnis von Freiheit und vor allem von der Tatsache, dass richtig was getan werden muss und das Land an erster Stelle stehen sollte. Bedenken Sie, dass große Infrastrukturprojekte 10, 15, auch gerne 20 Jahre dauern. Wenn Sie da nicht gut zusammenarbeiten, kommen Sie ja nirgendwo an. Und die Bürger:innen erwarten nun mal zu Recht, dass wir unsere Herausforderungen meistern – und die sind riesengroß. Das geht fast immer nur gemeinsam.

Zurück nach Hamburg. Am 25. April eröffnet das Westfield Hamburg-Überseequartier. 45.000 Menschen täglich sollen das neue Shopping-Entertainment-Quartier besuchen – zu Fuß, mit
der U4, dem Fahrrad oder dem Pkw. In jedem Fall kommt noch der Anlieferverkehr für rund 150 Einzelhändler (unter anderem Rewe) und über 40 Gastronomien dazu. Der und die Pkw werden über die HafenCity-Straßen Überseeallee/Magdeburger Brücke und Osakaallee ankommend und über Hübenerstraße/Am Sandtorpark abfließend abgewickelt werden. Das bringt hohe Lärm- und Schadstoffbelastungen. Warum gibt es keinen aktuellen Verkehrsplan, der auf realistischen Frequenzen und Belastungsgutachten beruht?
Mit Eröffnung des Überseequartiers wird es auch mehr Verkehr geben. Das ist unbestritten. Doch es wird immer gerne vernachlässigt, dass es schon lange die U4 gibt, die mit der Station Überseequartier direkt ins neue Center führen wird. Das ist für mich großartige Verkehrsplanung und perfekte ÖPNV-Anbindung. Das ist ein Erfolgsprojekt, was gerne von Kritikern vergessen wird.  

Für den Anlieferverkehr hilft die U4 nicht. Nein, und das war von Anfang an klar. Es wird jetzt darum gehen, dass die Pkw- und Anlieferverkehre vernünftig und leistungsfähig abgewickelt werden. Und dass das mit der vorhandenen Infrastruktur gelingt, kann ich mir vorstellen. Schließlich hat aus meiner Sicht die HafenCity einen Grundgeburtsfehler, und das ist nicht das neue Überseequartier, sondern dass die HafenCity als Überlaufventil für den Hamburger Durchgangsverkehr geplant wurde, wenn mal die Amsinck- oder die Willy-Brandt-Straße gesperrt sein sollten. Hier wurde – perspektivisch falsch – eine autozentrierte Verkehrsplanung gemacht, die man jetzt nicht über Nacht zurückdrehen kann. Und es ist nicht sinnvoll, auch aus wirtschaftlichen Gründen, diese sofort wieder komplett neu zu machen. Aber natürlich können wir von heute aus eine etwas weitsichtigere Verkehrsplanung starten. So bin ich zum Beispiel dafür, dass die neue Freihafenelbbrücke nur zwei- statt vierspurig geplant wird, weil der Individualverkehr weiter zurückgehen wird. 

Und die Anlieferstrecken Übersee- und Shanghaiallee bleiben mehrspurig? Es kommt kein Rückbau dieser Straßen? Nun lassen Sie das Quartier doch erst einmal eröffnen, und wir werden uns dann sukzessive angucken, was möglicherweise geändert werden muss oder kann. Ob dann die Überseeallee vor der HafenCity Universität zwingend sechsspurig bleiben muss, werden wir beobachten. Im Übrigen hat der zu Beginn vorhergesagte Verkehrskollaps durch die Zweispurigkeit der Versmannstraße bis heute nicht stattgefunden. 

Anjes Tjarks zur Verkehrsregelung an der Kreuzung Osakallee/Überseeallee an der Magdeburger Brücke: „Die Situation mit der Fahrradspur und der gestrichelten Trennlinie zum fließenden Verkehr ist unbefriedigend. Eine komplett neue Verkehrsführung dort, wäre ein millionenschweres Neubauprojekt unter anderem der zwei heutigen Brücken. Das ist zurzeit nicht darstellbar. Wir müssen hier deutlich für ein stärkeres Miteinander der Verkehrspartner Auto und Radfahrer:innen werben, anstatt sich im Gegeneinander zu verhaken.“  © Catrin-Anja Eichinger

Trotzdem basiert das aktuelle Verkehrskonzept auf einem alten „B-Plan 15“, als noch eine Großmarktbrücke als Verkehrsentlastung für die HafenCity geplant wurde, die nicht kommen wird. Und das Überseequartier war vor den Zeiten des früheren B-Plans salopp gesprochen nur halb so groß geplant. Eine Anwohner:innen-Klage will Lärm- und Schadstoffgutachten sowie eine neue Verkehrsplanung durchsetzen, und das Hamburger Oberverwaltungsgericht hat die Stadt aufgefordert, sich aktuell zu einigen. Klappt das noch vor der Eröffnung? Ich bitte um Verständnis, dass ich zu laufenden Verfahren nichts sagen kann und auch nicht möchte, zumal nicht wir, sondern die Stadtentwicklungsbehörde da die Federführung hat. Allerdings gehe ich persönlich davon aus, dass Senatorin Karen Pein nicht nur eine ruhige Hand, sondern auch ein klares Interesse hat, alle Dinge in Einklang zu bringen. Denn noch einmal: Das Überseequartier soll eröffnen und alle hoffen, dass es wächst und gedeiht. Und: Dass auch die direkten Anwohner:innen und die HafenCity gut damit leben können. Dass ich als Senator für Verkehr und Mobilitätswende im Kern möchte, dass in der City und der HafenCity weniger Autos fahren, muss ich nicht betonen. Schließlich haben wir die Pop-up-Bikelane Am Sandtorkai und am Brooktorkai verstetigt, was das Radfahren in der HafenCity angenehmer und sicherer macht. 

Apropos sicherer: Wir hatten ziemlich genau vor einem Jahr den tödlichen Unfall einer Radfahrerin durch einen rechts abbiegenden Lkw an der Kreuzung Überseeallee/Magdeburger Brücke. Bis heute sind keine die Radfahrer besser schützenden Maßnahmen erfolgt – weder gibt es eine breite Fahrradspur noch ist sie vom fließenden Verkehr getrennt. Und an der Ampel sind die Radfahrer
nicht wie an anderen Stellen in Hamburg vor die Autos gezogen worden. Warum nicht?
Weil es dort, so wie heute die Gegebenheiten sind, nicht möglich ist. Die Situation mit der Fahrradspur und der gestrichelten Trennlinie zum fließenden Verkehr ist unbefriedigend. Ein komplett neue Verkehrsführung dort, wäre ein millionenschweres Neubauprojekt unter anderem der zwei heutigen Brücken. Das ist zurzeit nicht darstellbar. Wir müssen hier deutlich für ein stärkeres Miteinander der Verkehrspartner Auto und Radfahrer:innen werben, anstatt sich im Gegeneinander zu verhaken. 

Anjes Tjarks: Ob die Menschen extra wegen des Überseequartiers nach Hamburg kommen, bleibt abzuwarten, und es ist der gesamten Stadt zu wünschen, dass nicht nur die Enklave im Überseequartier der HafenCity profitiert, sondern die gesamte innere Stadt. Dann kann es für ganz Hamburg ein echter Mehrwert sein.“ © Catrin-Anja Eichinger

Wie finden Sie persönlich das neue Überseequartier, und werden Sie von Altona dorthin radeln? Dazu muss das Westfield Hamburg-Überseequartier, wie es ja offiziell heißt, etwas bieten, was es so in Hamburg bisher noch nicht gegeben hat. Ich war jetzt noch nicht auf der Baustelle, habe also keinen persönlichen Eindruck, und es ist ja auch noch nicht eröffnet. Wir haben über hunderttausend Tagesbesuche in Hamburg, die jetzt nicht klassische Touristen sind, sondern die aus Lüneburg, Lübeck oder von der Küste mal einen Tag nach Hamburg fahren. Ob die Menschen extra wegen des Überseequartiers nach Hamburg kommen, bleibt abzuwarten, und es ist der gesamten Stadt zu wünschen, dass nicht nur die Enklave im Überseequartier der HafenCity profitiert, sondern die gesamte innere Stadt. Dann kann es für ganz Hamburg ein echter Mehrwert sein. 

Was würde Sie persönlich locken? Wenn ich nach einem Tag Senatorsein Privatmensch bin, freue ich mich darauf, zu Hause auf der Couch zu liegen und nirgendwo hinfahren zu müssen (lacht)

Apropos klassische Innenstadt und Verbindungswege von der HafenCity in die City und umgekehrt: Für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen stellen die sechsspurige Willy-Brandt-Straße und die Brands­twiete die größten Hindernisse für lässiges Flanieren zwischen
beiden Quartieren dar. Man weiß seit Jahren, dass das Überseequartier kommt, doch passiert ist wenig bis nichts. Warum?
Ihre Einschätzung teile ich nicht. Wir reden hier von der oberirdischen Verbindung vom Gänsemarkt über den Jungfernstieg, den Domplatz und den alten Fischmarkt, dann über Brands­twiete und den St. Annen-Platz über den Überseeboulevard direkt ins Überseequartier. In der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende laufen erstens die Vorbereitungen zum umfangreichen Projekt der Revitalisierung des Jungfernstiegs. Ab März starten die Hauptbaumaßnahmen. Der Jungfernstieg wird ein neues Gesicht erhalten, im neuen Glanz erstrahlen. Und zweitens schauen wir bitte mal stärker nach links und rechts und nicht nur auf die Kreuzung Willy-Brandt-Straße/Brands­twiete. Sie müssen den gesamten Stadtraum von der Binnenalster bis zur Elbe betrachten, den wir verändern und neu verbinden müssen. Da sind wir als Stadt dabei, und meine Behörde hat sehr federführend mitgewirkt. 
Wir haben zum Beispiel die erste Barriere, die Steinstraße, die noch vor drei Jahren eine Durchfahrtspiste mit täglich 20.000 Fahrzeugen war, verkehrsberuhigt. Sie hat früher das Kontorhausviertel, den eigentlichen Link zur HafenCity, abgeschnitten von der klassischen Innenstadt. Das haben wir geändert. Und wir werden sie zu einer Allee aufwerten, 50 neue Bäume pflanzen und auf der Südseite die Fußwege verbreitern, um dort den inhabergeführten Einzelhandel zu stärken. 
Ferner werden wir den Bur­chardplatz, der heute komplett als ebenerdiger Parkplatz benutzt wird, wieder zu einem der schönsten Plätze Hamburgs umgestalten, der von den historischen Backsteingebäuden Dovenhof, Sprinkenhof, Chilehaus und Mohlenhof eingefasst ist. Der Burchardplatz soll ein historisch attraktiver Anziehungspunkt für Hamburger:innen und Touristen werden. Darüber hinaus wird aktuell das gesamte Rathausquartier mit Rathaus- und Johannisstraße verkehrsberuhigt und komplett umgebaut, und der erste Platz ist inzwischen mithilfe des BIDs Rathausquartier zum Beispiel an der Rolandsbrücke attraktiv neu gepflastert und fertiggestellt worden.

Über den Verbindungsweg über die Willy-Brandt-­Straße haben Sie jetzt nichts gesagt. Weil ich Ihre Ausgangsthese, dass nichts passieren würde, nicht teile, wenn man den Blick etwas weiter macht. Im Gegenteil. Wir sind stolz auf die Veränderungen in der klassischen Innenstadt, weil es große Schritte sind. Und im Rahmen des Runden Tisches zur Innenstadt haben wir unter anderem auch eingebracht, dass wir den Domplatz in seiner historischen Fassung wiederherstellen wollen. Wir planen die Domstraße am Domplatz womöglich zu unterbrechen und die Busse nur über den Speersort zu führen, das ermöglicht eine attraktivere Neugestaltung des Domplatzes. Zudem ist für die Westseite der Domachse eine Promenade angedacht, damit die Fußgängerverbindung in die HafenCity attraktiver wird. 

Anjes Tjarks: „Wir sind in der Verkehrsbehörde zurzeit dabei zu prüfen, ob wir die Buslinie 4 bis zum Überseequartier verlängern können. Und wenn Sie die Planungen bis zur Willy-Brandt-Straße betrachten, ist die zukünftige Perspektive nicht schlecht. Und auch dahinter, St. Annen und der Überseeboulevard sind attraktive Stadträume.“ © Catrin-Anja Eichinger

Das soll nicht klein­geredet werden, aber es hilft kurz­fristig nicht bis zur Eröffnung des Überseequartiers in drei ­Monaten. Was machen die Menschen, die nicht laufen möchten? Es gibt keine direkte oberirdische Verbindung. Das ist richtig. Wir sind in der Verkehrsbehörde zurzeit dabei zu prüfen, ob wir die Buslinie 4 bis zum Überseequartier verlängern können. Und wenn Sie die Planungen bis zur Willy-Brandt-Straße betrachten, ist die zukünftige Perspektive nicht schlecht. Und auch dahinter, St. Annen und der Überseeboulevard sind attraktive Stadträume.

Frau Unger vom City Management und die Innenstadt-Kaufleute haben Ihnen eine Hop-on-Hop-Off-Ringlinie zu den Hotspots von City und HafenCity vorgeschlagen, was Sie gut gefunden hätten. Warum kommt die nicht? Wir verbessern den Busverkehr aktuell in der City auf verschiedenen Ebenen. Es wurden die 16, 17 und 19 eingeführt und die Mönckebergstraße durch die Verlegung vieler Buslinien in die Steinstraße deutlich entlastet. Zudem wurden die meisten Aufgänge von den Bahnsteigen auf die Steintorbrücke hergestellt und dort eine zentrale Bushaltestelle für Hamburg am Hauptbahnhof neu eingerichtet. Jetzt liegt die Priorität in der Prüfung der Fortsetzung der Metrobuslinie 4 in Richtung Überseequartier.

Sie haben nach der letzten Runden-Tisch-Sitzung Innen­stadt eine neue fuß­gängerbetonte Ampelschaltung in Aussicht gestellt, und der Erste Bürgermeister Peter Tschen­tscher hat die berühmte große Shibuya-Kreuzung in Tokio ins Spiel gebracht, wo auf superbreiten Zebrastreifen viele Menschen die Kreuzung quer und diagonal passieren. Kommt Shibuya an Willy-Brandt-Straße/Brandstwiete? Wir werden prüfen, welche Hilfen zu einer guten und sicheren Querung dort möglich sind. Dass wir wie in Tokio meterbreite Zebrastreifen an dieser Verkehrshauptachse in die Stadt umsetzen, kann ich mir im Moment schwer vorstellen. Wir wollen dort eine bessere und flüssigere Verbindung für Fußgänger und Radfahrer:innen verwirklichen. Wenn wir die gesamte Domachse vom Jungfernstieg bis zur Willy-Brandt-Straße attraktiver gestalten und die Aufenthaltsqualität nachhaltig verbessern, entzerrt das auch die Situation in der Brandstwiete.

Anjes Tjarks: „Dass wir wie in Tokio meterbreite Zebrastreifen (an der Shibuya-Kreuzung; d. Red.) an dieser Verkehrshauptachse in die Stadt umsetzen, kann ich mir im Moment schwer vorstellen. Wir wollen dort eine bessere und flüssigere Verbindung für Fußgänger und Radfahrer:innen verwirklichen. Wenn wir die gesamte Domachse vom Jungfernstieg bis zur Willy-Brandt-Straße attraktiver gestalten und die Aufenthaltsqualität nachhaltig verbessern, entzerrt das auch die Situation in der Brandstwiete.“ © Catrin-Anja Eichinger

Sie hatten in unserem jüngsten Gespräch für die HafenCity flächendeckende Tempo-30-Zonen in Aussicht gestellt. Warum wurde das bislang nichts? Zumindest mehr Tempo 30, das ist richtig. Aber das, worum es wirklich geht, sind wir jetzt einen Schritt weiter, denn wir haben für die Mobilitätswende im Verkehrsentwicklungsplan beschlossen, dass wir auf den Hamburger Bezirksstraßen Tempo 30 deutlich verstärken wollen. Und das führt natürlich dazu, dass bei allen Prüfungen erheblich leichter wird, den politischen Willen zu Tempo 30 zu erzeugen. Da wird sich 2024 noch einiges tun – auch in der HafenCity. Wo wir leider noch nicht weitergekommen sind, ist die Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes, wo unter anderem den Städten und Kommunen mehr Freiheit bei der Umsetzung von Tempo 30 möglich geworden wäre. Das hat der Bundesrat leider abgelehnt. Hinter den Kulissen arbeiten wir an einem heilenden Vorschlag.

Wir sind noch am Anfang des neuen Jahres. Was wünschen Sie sich politisch und persönlich? Wir haben 2025 Bundestagswahlen, und bis dahin möchte ich noch bestimmte Meilensteine erreichen. Zum Beispiel die Finanzierungsvereinbarung über die Planungskosten des neuen S-Bahn-Tunnels in Hamburg zwischen Altona und Hauptbahnhof, des, ein schönes Wortungetüm, „Verbindungsbahnentlastungstunnels“. Die S-Bahn müssen wir bezahlen, die Verbindung, den Tunnel, der Bund, denn der hat ihn bestellt. Und privat wünsche ich mir, dass es mit der Familie weiter gut läuft und die größeren Kinder ihren mittleren Schulabschluss gut hinbekommen. Das läuft bestens, aber beruhigt ist man als Papa erst, wenn es tatsächlich geschafft ist. Das Gespräch führte Wolfgang Timpe

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