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Fotograf und Agenturchef Thomas Hampel hatte statt drei Antworten eher Bock auf einen Essay: „Wir alle werden Resilienz, Verstand, Geduld und Humor brauchen – das Herz wie immer am rechten Fleck und den Kopf am besten überm Hals, um den Überblick zu behalten und die richtigen Entscheidungen treffen zu können!“ © Catrin-Anja Eichinger
Das postpandemische Paradoxon

Essay. Ein kleiner Besinnungsaufsatz von Thomas Hampel, Gründer und Inhaber der Agentur ELBE&FLUT sowie Mitglied der IG Kulturquartier, zum Wirken des Corona-Virus in den vergangenen Monaten

Die Schöne: Die Stadt und ihr fast in Vergessenheit geratenes, dauernd lärmendes Getriebe sind wieder live zu erleben! Nicht nur das hohle Dröhnen von forsch in irgendeinem Frachter abgesetzten Containern, das über die Elbe in eine apokalyptisch unbeseelte HafenCity wabert, sondern Menschen, Lachen, Rufen, Albernheiten – wie erleichternd und befreiend ist plötzlich diese Kulisse aus Alltagsgeräuschen? 
Foto oben: Fotograf und Agenturchef Thomas Hampel hatte statt drei Antworten eher Bock auf einen Essay: „Wir alle werden Resilienz, Verstand, Geduld und Humor brauchen – das Herz wie immer am rechten Fleck und den Kopf am besten überm Hals, um den Überblick zu behalten und die richtigen Entscheidungen treffen zu können!“ © Catrin-Anja Eichinger

Eine Fahrradfahrt vom Amerigo-Vespucci-Platz zur Elbphilharmonie und weiter über die Baumwall-Promenade in Richtung Landungsbrücken zeigt die Stadtküste voller Pärchen, Ausflügler, Flaneure, Restaurantbesucher und Cafégäste. Und den Sandtorkai mit einer großzügigen gelben Pop-Up-Fahrradspur, die im April einfach aufgepoppt und draufgemalt wurde – das ist klasse! Fröhliche Sommerstimmung rauscht auch durchs offene Bürofenster. Fast vergessen und nun wieder da als vertraute Reminiszenz: Das Typhon einer Barkasse, die ins Kleine Fleet abbiegt … aufgewacht, der Alptraum hat ein Ende, das Leben kann weitergehen!

Thomas Hampel, Elbe&Flut: »Ein ,Weiter wie bisher’ wird wahrscheinlich nicht funktionieren – es wird nicht mehr so wie früher. Vielleicht müssen wir auch auf den einen oder anderen, dieser Aufbruchstimmung innewohnenden, faulen Zauber achten.« © Catrin-Anja Eichinger
Thomas Hampel, Elbe&Flut: »Ein ,Weiter wie bisher’ wird wahrscheinlich nicht funktionieren – es wird nicht mehr so wie früher. Vielleicht müssen wir auch auf den einen oder anderen, dieser Aufbruchstimmung innewohnenden, faulen Zauber achten.« © Catrin-Anja Eichinger

Das Biest: Fast hatte man sich an Stille und Leere gewöhnt, ans permanent schlechte Gewissen mit einer an Fischli/Weiss geübten, unbeantwortbaren Frage als Überschrift der Tage: „Mache ich alles richtig?“ Darüber, was alles nicht richtig gemacht wurde, konnte man oft genug hinter vorgehaltener Maske den Kopf schütteln. Überhaupt – der Kopf: Sitzt er eigentlich noch an derselben Stelle wie vor eineinhalb Jahren? Oder kann uns Störtebeker ein Beispiel dafür geben, was man kopflos geregelt bekommt? Der Künstler Manfred Stempels hat vor einiger Zeit einen humoresken Verein der Kopflosen gegründet – er ist seiner Zeit einmal mehr voraus! Wir alle wollen wieder die Köpfe zusammenstecken, unter die Leute, ins Gespräch, in den zwanglosen Austausch der Ideen und Vorstellungen, raus aus dem monomanischen Corona-Sprech mit Inzidenzen, R-Werten, Intensivbetten und Virus-Varianten.

Die Freude über den Aufbruch darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die lange Zeit des Lockdowns für uns alle Konsequenzen hat: Die Pandemie hat ihre eigenen Paradigmen geformt, und die sind nach meiner Wahrnehmung gar nicht so leicht abzuschütteln. Kommunikation ist gerade das neue Hauptfach im Geschäftsleben. Das, was vor zwei Jahren eine Zusage war, ist im heutigen „Neuen Normal“ eine Option. Wahrnehmung, Empathie und Verständnis wurden quer durch die Gesellschaft intensiv und breit diskutiert, aber nun sollen wir plötzlich wieder für und über uns selbst sprechen, entscheiden, verantworten, geradestehen? Alles dauert heute etwas länger und bringt im Ergebnis etwas weniger als noch Anfang 2020.

Die Pandemie hat ihre eigenen Paradigmen geformt, und die sind nach meiner Wahrnehmung gar nicht so leicht abzuschütteln. Kommunikation ist gerade das neue Hauptfach im Geschäftsleben. Das, was vor zwei Jahren eine Zusage war, ist im heutigen „Neuen Normal“ eine Option. Wahrnehmung, Empathie und Verständnis wurden quer durch die Gesellschaft intensiv und breit diskutiert, aber nun sollen wir plötzlich wieder für und über uns selbst sprechen, entscheiden, verantworten, geradestehen? Alles dauert heute etwas länger und bringt im Ergebnis etwas weniger als noch Anfang 2020.“

Thomas Hampel, Agenturinhaber ELBE&FLUT

Und gerade jetzt kommt die verflixte Delta-Mutante um die Ecke wie eine böse Erbtante in Rosamunde Pilchers Cornwall: Beginnt das zermürbende Versteckspiel etwa von Neuem? Da seien Drosten, Lauterbach, Johnson & Johnson vor! Biontech und die Astra-Knolle sowieso, meinetwegen gern auch Weißburgunder!

Die Chance: Die Euphorie des Neuanfangs ist überall spürbar, plötzlich sind die wilden digitalen Zwanziger angebrochen, als hätte die Schulbehörde gerade die Elektrizität entdeckt. Zeit für besinnliche Hermann Hesse-Zitate: „Jedem Anfang wohnt …“! Jede und jeder war ja im eigenen Home-Office auf sich gestellt, hat seine und ihre eigene Geschichte erlebt und zu erzählen. Nun müssen neue Strukturen gesucht und erprobt werden, das Verhältnis zu Kollegen und Mitarbeitern neu definiert, der Büroraum möglicherweise kompakter arrangiert, die Arbeitsabläufe optimiert und die Kunden von Neuem gefunden, begeistert und überzeugt werden.

Das ist kein knappes Programm, setzt aber Energien und Phantasien frei, räumt mit alten Schränken, Ablagen und Vorstellungen auf, die jahrelang unbeachtet einem frischen Wind im Wege standen. Wie viele andere haben auch wir die Chance genutzt, aufgeklart und die Sedimente jahrzehntelanger Arbeit humor- und respektvoll entsorgt, Platz geschaffen, der zwar eigentlich schon lange da war, der aber ohne den Pandemie-Impact noch länger vollgestellt geblieben wäre.

ELBE&FLUT hat seinen Agenturalltag neu geregelt und teilt die Räume im Sandtorkai 1 seit Juni mit den Kollegen von sporting hamburg um Martin Blüthmann. Das fühlt sich ähnlich gut an wie der fröhliche Lärm auf den Promenaden und Plätzen der HafenCity: Nach langen Monaten ruhigen und besonnenen Durchhaltens ist zur erfrischenden Abwechslung wieder Leben in der Bude!

Das Risiko: Endlich Sommer und schon wieder Wolken? Ein für den naiven Beobachter erstaunliches Problem scheint darin zu bestehen, dass die Gastronomie zwar geöffnet hat und die Gäste Schlange stehen, nur leider das Personal noch nicht wieder am Start ist. Welcher Zukunftsforscher kann sich das ausdenken? Das Leben geht weiter, und der Service braucht Bedenkzeit. Die Menschen haben sich „oft neu orientiert“, heißt es. Aber wohin denn? Sind die dann einfach mal weg?

Ein weiteres Beispiel aus unserem Arbeitsfeld: Wir sind seit vielen Jahren für die Interessengemeinschaft KulturQuartier Speicherstadt und HafenCity tätig, und hier gibt’s ein merkwürdiges Paradox: Die Museen haben wieder auf, aber die potenziellen Besucher sind wohl gerade woanders. Ehrlicherweise muss ich zugeben, auch schon mal über allzu stumpfsinnige touristische Stampedes an der Stadtküste gemeckert zu haben. So weit weg von Barcelona und doch genervt von all den Menschen und der unbeirrbaren Vermarktung auch des letzten folkloristischen Krümels der schönsten Stadt der Welt an Alster und Bille … Aber nun? Das gegenwärtige Summen der Stadt ist rein hamburgisch – wo sind die Leute aus dem Rest der Welt geblieben? Das zeigt, dass die vermeintliche Normalität alles andere als normal und die aus der Vor-Pandemie-Zeit gewohnte Realität keine verlässliche Größe ist: Wir müssen sehen, wie es wirklich weitergeht, wie zum Beispiel die kleinen Museen zurechtkommen, an welchen Stellschrauben jenseits öffentlichkeitswirksamer Maßnahmen in Sachen Kultur und Tourismus gedreht werden muss, um den Übergang in die Nach-Pandemie-Zeit konstruktiv zu bewältigen!

Zwischenbilanz: Ein „Weiter wie bisher“ wird wahrscheinlich nicht funktionieren – es wird nicht mehr so wie früher. Vielleicht müssen wir auch auf den einen oder anderen, dieser Aufbruchstimmung innewohnenden, faulen Zauber achten. Das Virus hat sich eingenistet, die Menschheit hat die zweite globale Herausforderung nach dem Klimawandel immer noch vor sich und wir alle werden Resilienz, Verstand, Geduld und Humor brauchen – das Herz wie immer am rechten Fleck und den Kopf am besten überm Hals, um den Überblick zu behalten und die richtigen Entscheidungen treffen zu können! Immerhin: Die Chancen stehen ja nicht schlecht, dass die Schöne das Biest zum Schluss elegant umgarnt – und für gute Geschäfte musste man schon immer in Chancen und nicht in Risiken denken! Thomas Hampel
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Thomas Hampel, Gründer und Inhaber der Agentur ELBE&FLUT sowie Mitglied der IG Kulturquartier, Am Sandtorkai

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