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DJ Alex Christensen: »Müdigkeit ist der Freund jedes DJs«

Vorschau. Am 1. Juni tritt DJ Alex Christensen mit dem Berlin Orchestra in der Barclays Arena auf

NDR-Funkhaus. Der DJ und Produzent Alex Christensen sitzt beim Senderbesuch auf einem Schreibtischstuhl, hinter sich hat er eine große Fensterfront. Nur zu gern redet der 57-Jährige über seine Musikleidenschaft. Besonders die 80er- und 90er-Jahre haben es ihm angetan. Schon mehrfach hat der Hamburger Songs aus diesen Dekaden zusammen mit dem Berlin Orchestra neu eingespielt, in diesem Jahr touren die Musiker:innen wieder gemeinsam.
Foto oben: Musikproduzent und DJ Alex Christensen zur Techno-Bewegung und dem Chartbreaker „Das Boot“ anno 1991: „Sie ist vom Underground in den Mainstream geschossen. Viele Leute sind erst durch ,Das Boot‘ mit Techno in Berührung gekommen. Auf einmal kamen nicht mehr 1.000 Leute zu einem Rave, sondern 20.000.“ © Marcel Brell

Herr Christensen, was bedeuten Ihnen aus heutiger Sicht die 80er-Jahre? Bands wie Culture Club, Human League und Ultravox haben bei mir damals eine ganz große Musikverliebtheit getriggert. Ich habe die ersten Konzerte besucht. Im CCH war ich bei Frankie Goes to Hollywood, ich habe mir Sade und Police angeschaut.

Haben Sie in der Zeit auch begonnen, die Hamburger Clubszene zu entdecken? 1985 habe ich als DJ im Checkers auf dem Steindamm angefangen. Anfangs hatte ich die Idee, nur Sachen zu spielen, die ich gut finde. Ich bin nicht so auf das Publikum eingegangen. Doch mir wurde ziemlich schnell bewusst, dass das ein Fehler war. 1987 kriegte ich schließlich die Chance, im Voilà vorzuspielen. Dort habe ich drei Jahre aufgelegt.

DJ Alex Christensen: „Wer nicht ausgeht, verpasst etwas.“ © Marcel Brell

Wie ließ sich das Auflegen mit Ihrer regulären Arbeit vereinbaren? Nach der zehnten Klasse bin ich von der Schule abgegangen und habe eine Ausbildung zum Speditionskaufmann gemacht. An den Wochenenden habe ich dann eben als DJ gearbeitet. In den späten 80er-Jahren nahm ich einen Job in einer Plattenfirma an, ich absolvierte meinen Zivildienst und war obendrein noch DJ in der Königsburg in Krefeld. In dieser Phase war ich voller Energie.

Waren Sie nicht oft todmüde? Müdigkeit ist der Freund eines jeden DJs und Musikproduzenten. Wenn ich nicht müde war, wusste ich: Irgendwas ist in dieser Woche schiefgelaufen. Ich feiere bis heute unheimlich gern – zum Beispiel auf der Reeperbahn. Es gehört einfach zu meiner Sozialisierung, abends wegzugehen.

Gegenwärtig haben viele Jugendliche keine Lust auf Clubs. Wie erklären Sie sich das? Als junger Mensch hast du dank des Internets ungeahnte Möglichkeiten. Wenn du jemanden kennenlernen willst, brauchst du nicht mehr vor die Tür zu gehen. Du tinderst halt zwei Minuten. Ich finde es aber wichtig, sich nicht nur online zu sehen, sondern sich direkt in die Augen zu schauen und miteinander zu sprechen. Wer nicht ausgeht, verpasst etwas.

Sie selbst dürften vor allem in den 90er-Jahren häufig unterwegs gewesen sein. Wie ist Ihnen dieses Jahrzehnt in Erinnerung geblieben? In jenen Tagen ist wahnsinnig viel passiert. Als ich einen Nummer-eins-Hit hatte, wollte mich Jean Michel Jarre unbedingt kennenlernen. Auf einmal saß ich mit der Ikone der elektronischen Musik in seiner Hotel­suite. Wir wollten zusammen etwas machen, aber der Erfolg hat mich total überrollt und mir viele lukrative DJ-Gigs gebracht. Deshalb habe ich es irgendwie verpennt, mich wieder bei Jean Michel ­Jarre zu melden.

„Das Boot“ hat Sie 1991 mit dem Musikprojekt U 96 an die Spitze der Charts katapultiert. Was hieß das für die Techno-Bewegung? Sie ist vom Underground in den Mainstream geschossen.Viele Leute sind erst durch „Das Boot“ mit Techno in Berührung gekommen. Auf einmal kamen nicht mehr 1.000 Leute zu einem Rave, sondern 20.000.

Vor allem die Loveparade zog unzählige Menschen an. Wie standen Sie zu dieser Veranstaltung? Sie war eine friedliche, lustige Riesensause, zu der man vollkommen sorglos gefahren ist. Erst haben die Leute vor, auf oder hinter den Lkw getanzt, nachts ging man in die Clubs. Es gab kaum Sicherheitsvorkehrungen, die Polizisten haben mitgefeiert. Die Loveparade hatte so einen Hippie-Touch, sie war wunderbar frei.

Bis 2010 ein Unglück mit 21 Todesopfern geschah. Das war entsetzlich. Aber es war nicht mehr meine Loveparade. Nach dem Umzug von Berlin ins Ruhrgebiet ist dieser Event kommerzialisiert worden. Dadurch sind Fehler passiert …

Und wie beurteilen Sie die Hamburger Techno-Szene der 90er-Jahre? Sie war äußerst agil, mit vielen Clubs von Traxx bis Palladium. Gefühlt ging das Wochenende schon mittwochs im H1 los, der Donnerstag gehörte dem Opera House, Freitag und Samstag waren eh durchgetaktet. Sonntags konnte man noch um neun Uhr morgens in einen Frühclub gehen. Das hat gut funktioniert, weil es jede Menge Jugendliche gab, die Lust auf Interaktionen mit anderen hatten.

Was hat Sie daran gereizt, Lieder aus den 80er- und 90er-Jahren mit dem Berlin Orchestra zu interpretieren? 2016 kam mir der Gedanke, meine alten Dance-Songs mit einem Orchester neu aufzunehmen. Dabei habe ich mich wie ein Restaurator gefühlt. Ich habe die Stücke aus den 90er-Jahren entstaubt und auf ein neues Level gehoben.

Haben Sie für dieses Projekt selber eine Partitur geschrieben? Nein. Ich habe wie Pep Guardiola agiert. Als Trainer schießt er ja auch nicht selber die Tore, sondern behält den Überblick. Da ich weiß, was ich kann und nicht kann, habe ich mir Arrangeure oder einen Notisten ins Boot geholt.
Dagmar Leischow

Alex Christensen tritt mit dem Berlin Orchestra am Samstag, 1. Juni, 20 Uhr, in der Barclays Arena auf, Karten und weitere Informationen unter www.semmel.de

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