Exklusiv-Gespräch. Meike Ludzay, Schulleiterin der weiterführenden Schule Campus HafenCity im Lohsepark, über sinnstiftende Projektarbeit und bereichernde Diversität
Frau Ludzay, seit 2016 sind Sie schon mit der Entwicklung der weiterführenden Schule Campus HafenCity im Lohsepark betraut. Seit 2018 sind Sie Gründungsschulleiterin und starteten im August 2021 im temporären roten Container-Schuldorf mit zwei fünften Klassen. Heute sind es zwei fünfte und zwei sechste Klassen mit je 23 bzw. 28 Schüler:innen sowie eine Internationale Vorbereitungsklasse (IVK) mit 18 geflüchteten Kindern. Im Sommer 2024 soll der Bau der Schule beginnen, in 2026 soll sie eröffnet werden. Wie können Sie sich so lange motivieren? Wenn man gerne Lehrerin ist, gerne in der Schule arbeitet und Schulentwicklung wichtig findet, dann ist das einfach ein spannendes Projekt. Natürlich gibt es immer mal wieder Phasen, wo man denkt, jetzt ist es wirklich langwierig, aber schon ist der nächste Tag nicht langweilig. Ich habe mir ja genau überlegt, warum ich nicht eine Schulleitung an einer Bestandsschule übernehme, sondern Schulleiterin einer neu gegründeten Schule sein möchte. Und da muss man einfach wissen, dass man einen langen Atem braucht. Es geht jetzt voran – glaube ich.
Foto oben: Campus-HafenCity-Schulleiterin Meike Ludzay zur Aussicht, dass ab Sommer 2024 die neue Schule im Lohsepark gebaut wird: „Wir finden alle wichtig, dass die Entscheidung zeitnah fällt und wir wollen ortsnah in der HafenCity bleiben. Die Wege der Kinder blieben gleich und wir könnten unseren Schulneubau organisch wachsen sehen.“ © Catrin-Anja Eichinger
Was ist Ihre Motivation? Ich möchte einfach gerne gute Schule machen, und zwar mit genau diesen Leuten, meinen Kolleginnen und Kollegen im Team. Das sind alles Menschen, die Schule entwickeln wollen und die wie ich eine bestimmte Vorstellung von der Stadtteilschule Campus HafenCity hamit Stadtteilschule und Gymnasialzweig haben. Es macht Spaß, im Team zusammen konzeptionell zu arbeiten. Das ist genau das Kontrastprogramm zu einer bereits existierenden Schule, wo schon alles festgelegt ist. Das Spannende hier am Campus HafenCity ist, dass wir uns fast alles neu erarbeiten.
Was braucht man dazu? Lust auf anstrengende Prozesse und oft viel Geduld.
Sie möchten die Schüler:innen als „junge aufrechte Demokratinnen und Demokraten ins Leben entlassen“. Was heißt das und vor allem, wie machen Sie das? Uns allen ist ganz wichtig, dass junge Menschen früh einen Sinn darin erkennen, dass es sich lohnt, sich zu beteiligen und sich zu engagieren und auch Verantwortung zu übernehmen. Das betrifft alle Jahrgangsstufen – am Ende in unserem neuen Schulgebäude hier im Lohsepark haben wir beide Schulformen unter einem Dach, von der fünften bis zur dreizehnten Klasse in der Stadtteilschule und bis zur zwölften Klasse im Gymnasialzweig. Wir sind davon überzeugt, dass man das Fundament für Selbstständigkeit, Resilienz und Verantwortung bei Kindern und Jugendlichen so früh wie möglich legen muss. Das macht sie stark und selbstbewusst.
Bei Ihnen und Ihrem Lehrer:innen-Team sollen die Schüler:innen ihre „Persönlichkeit stärken“, „Diversität aktiv erleben“ und „Selbstwirksamkeit erreichen“. Sind Sie eine linke Erziehungsanstalt? mmer ein bisschen besser werden konstruktiv mitzubestimmen. Viele vergessen, dass man das alles sorgfältig lernen muss, um sich später im Leben zurechtzufinden. Wie schreibe ich Anträge? Wie diskutiere ich und äußere meinen Unmut über bestimmte Dinge? Wie äußere ich erfolgreich meine Unzufriedenheit über Mitschüler:innen, Lehrende, Eltern, andere Erwachsene oder Freundinnen und Freunde? Wie mache ich nachvollziehbar Verbesserungsvorschläge? Wenn ich mir das in der Schule aneigne, habe ich es später draußen leichter. Das meint nicht nur formales, sondern auch soziales Lernen. Bin ich der Einzige mit meinen Ansichten und Empfindungen, oder gibt es mehrere Mitschüler:innen, die das genauso wie ich sehen? Das soll gerne auch an unserer Schule geäußert, erlebt, verändert oder verbessert werden. Bei uns wird auch geübt, sich klarer zu positionieren und zu erkennen, was einem wichtig ist.
Eine Schule des Lebens? Ich war auch an einer Schule, wo man im Umgang miteinander grundsätzlich aufrichtig war. Darauf legen wir Wert und wollen heute mit den digitalen Möglichkeiten deutlich mehr tun. Unsere Schüler:innen der fünften und sechsten Klasse nutzen heute schon auf iPads die Plattform „Aula“, auf der die Kinder ihre unterschiedlichsten Ideen, Wünsche und Verbesserungsvorschläge pos-ten können. Das können alle in der Schulgemeinschaft wahrnehmen und kommentieren. Ein Schulgremium prüft die Ideen und Vorschläge, ob sie überhaupt umsetzbar ist – oder Ideen kommen, die unrealistisch sind. Dann fängt die eigentliche Arbeit an, da wir einem häufig vorkommenden Wunsch, freitags keine Schule zu haben, natürlich weder nachkommen können noch wollen. Wirklich gute Vorschläge werden bearbeitet und besprochen, auch in einer Schulkonferenz mit Eltern, und gehen dann zurück an diejenigen, die sie gepostet haben. Das ist die beste Vorbereitung aufs spätere Leben, das ja da draußen nicht einfacher für die Kinder wird.
Was zählt, Leistung oder Empathie? Selbstverständlich beides. Es sind viele Mosaiksteine, die zusammen die jungen Menschen auf das Leben vorbereiten. Dazu gehören natürlich auch ganz klassische Dinge, ob sie nachher in die Berufsorientierung gehen oder lernen, sich gut für eine Klassenarbeit vorzubereiten und sich darauf zu konzentrieren, dass sie einen guten Abschluss machen. Wir wollen hier am Campus HafenCity den Schülern ermöglichen, ihre größtmögliche Leistung abzuliefern. Das kann man eben nur, das ist meine und unsere tiefe Überzeugung im Schulteam, wenn man sie auch eng begleitet, Beziehungsarbeit leistet. Wir unternehmen viel und sprechen intensiv mit unseren Schüler:innen.
Inwiefern? Wir kümmern uns auch um Dinge, die neben dem Unter-richt laufen, um die Schüler:innen auch anders kennenzulernen. Das ist wichtig, bevor alle durch die schwere Zeit der Pubertät gehen, die einen früher, die anderen später. Da ist es für Jugendliche sehr wichtig, auch Menschen außerhalb des Elternhauses, der Verwandtschaft oder auch der Freundesclique zu haben, die einem zur Seite stehen.
VITA Meike Ludzay ist die Gründungs-Schulleiterin der weiterführenden Schule Campus HafenCity im Lohsepark. Für die 57-jährige Pädagogin, Naturwissenschaftlerin und Schulentwicklerin gelingt Schule nur dann, wenn sie als Institution offen ist für ein permanentes Lernen und Weiterentwickeln. Schule sollte für Meike Ludzay nicht nur reiner Lernbetrieb, sondern auch ein Ort des Miteinanders sein, eine Schule für die Schüler:innen, die Eltern, die Lehrenden und die Nachbarschaft. Die Akzeptanz der Schule ins Quartier hinein ist ihr wichtig. Sie hat die Fächer Biologie und Chemie in Hamburg studiert, nachdem sie nach dem Abitur eine Ausbildung zur Chemielaborantin gemacht hatte. Meike Ludzay hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Mann auf der Elbinsel in Wilhelmsburg.
Offenbar müssen Ihre Lehrer:innen immer eine Extrameile gehen? Wir haben sehr engagierte Menschen im Lehrer:innenteam, die sind bei uns bewerben, weil sie genau an solcher Arbeit Interesse haben. Und wir machen auch kein Geheimnis daraus, dass man hier viel arbeiten muss, dass aber die Arbeit auch viel leichterfällt, wenn man Spaß an ihr und im Team hat. Dann zehrt Lehrer:innensein nicht nur an der Energie, sondern man nutzt mit Freude seinen Gestaltungsspielraum. Das ist genau die Motivation derer, die sich bei uns bewerben.
Bei Ihnen sollen die Schüler:innen „Diversität erleben“. Warum? Unsere Gesellschaft ist doch divers. Wir haben verschiedene Kulturkreise, die miteinander auskommen wollen und müssen, und man muss sich mit unterschiedlichsten Bildungsschichten auseinandersetzen. Genau deswegen ist der Campus HafenCity etwas ganz Besonderes. Darum finden wir ihn so toll, weil hier verschiedenste Menschen, Schüler:innen, Lehrer:innen, Eltern und Erwachsene mit unterschiedlichsten sozialen Hintergründen zusammenkommen. Das ist eine wichtige Aufgabe von Schule heute, für Verbindungen zwischen Menschen und Gruppen zu sorgen, die sich sonst überhaupt nicht so begegnen würden. Darin sehen wir eine ganz große kulturelle Chance. Wir beobachten zurzeit in der Gesellschaft, dass viele Gruppen eher auseinanderdriften, statt zusammenzuwachsen.
Damit das gelingen kann, muss man sich begegnen, muss die anderen verstehen lernen und Vertrauen fassen, eigene Fragen zu stellen. Diversität fängt schon früh an. Wir haben mit unseren Fünfklässlern zum Beispiel kindgerecht das Thema denk.mal Hannoverscher Bahnhof hier im Lohsepark direkt neben unserer Schule aufgenommen. Und dann haben die Schüler:innen im Ganztagsangebot Film haben die Schüler:innen gemeinsam ein Video gedreht und Zeitzeugen interviewt. Gern noch einmal: Unsere Gesellschaft ist schon vielfältig und wird immer vielfältiger, und das muss sich in der Schule abbilden.
Warum ist Ihnen die Transparenz der Schule im Stadtteil und die Akzeptanz im Quartier wichtig? Eine Schule darf kein Ufo sein, das irgendwo landet und dann womöglich abends auch noch abgeschlossen wird. Wir werden zum Beispiel in unserem neuen Schulgebäude Bezirksflächen haben, die die Menschen aus der Nachbarschaft und dem Stadtteil nutzen können. Das wird toll! Das wird zum Beispiel auch die Nutzung unserer sportlichen Einrichtungen betreffen oder auch die große Aula, die etwa von Jugendlichen oder Senioren aus der HafenCity als Bühne für Aufführungen genutzt werden können. Natürlich handeln wir uns damit auch Probleme ein, es wird vielleicht mal nicht alles so hinterlassen wie vorgefunden …
… oder auch zerstört. Ja, so was passiert, und man kann es durch Abschließen auch nicht verhindern. Bei uns muss niemand über Zäune klettern, um kicken zu können. Wir werden auch kleine Fußballfelder haben. Warum sollen da nachmittags, wenn unsere Aktivitäten in der Schule vorüber sind, Kinder nicht noch bleiben oder aus dem Stadtteil zum Fußballspielen kommen können?
Warum heißt die Schule Campus HafenCity? In Hamburg werden die Schulen klassisch nach ihrem Stadtteil benannt, wie Gymnasium Eppendorf etwa. Da wir eine neue Schule gründen und es noch keine fertige Schulgemeinschaft gibt, sondern wir in den kommenden Jahren ja noch weiter wachsen werden, bis hier am Ende circa 1.700 Schüler:innen herkommen, wollten wir als kleines Starterteam der Schule keinen Namen aufzwingen. Das hätten wir als Team anmaßend gefunden. Das muss alles wachsen, und ich finde den Namen Campus HafenCity dazu passend. Campus ist eine andere Form, Schule zu machen, und wir haben beide Schulzweige unter einem Dach. Ich finde den Namen auch gut, weil man erst einmal weiß, wo die Schule verortet ist. Und wenn die Schule irgendwann in der Oberstufe angelangt ist und die jungen Menschen ihr einen neuen Namen geben wollen, dann soll das gerne so sein.
Die Schulbehörde behandelt den Campus HafenCity nicht zuvorkommend. Der Bau hat sich viele Jahre verzögert, jetzt wissen Sie noch nicht, wo Sie temporär hinkommen, wenn die Schule auf ihrem heutigen Gelände gebaut wird. Warum ist das so? Wir finden alle wichtig, dass die Entscheidung zeitnah fällt, und wir wollen ortsnah in der HafenCity bleiben. Die Wege der Kinder blieben gleich und wir könnten unseren Schulneubau organisch wachsen sehen.
Das Gespräch führte Wolfgang Timpe