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G-Klasse: »Saurier unter Strom!«

E-Lifestyle. Wie die elektrische Revolution von Mercedes mit dem Premium-SUV EQG 580 den  G-Gelände-Methusalem rettet und der Kult-Kutsche G63 die Schau stiehlt

Von wegen Dinosaurier! Zwar wirkt der Mercedes-Außenposten in Graz wie der Jurassic Park der PS-Branche. Schließlich bauen sie hier ein Auto, das sich in fast einem halben Jahrhundert dem Wesen nach kaum verändert hat und vielen als Saurier unter den SUV gilt. Doch nur weil die ­G-Klasse nach mittlerweile über 500.000 Exemplaren noch immer fast so aussieht wie beim Debüt vor 45 Jahren und weil sie das Vierkant-SUV mit „Stronger Than Time“ branden, also mit „stärker als die Zeit“, ist es nicht immun gegen den Zeitgeist. 
Foto oben: Wer unsicher ist im Gelände, der aktiviert einfach den „Creepmode“ und rollt wie mit einem Tempomat im Kriechgang durchs Abenteuer. Dass die Amerikaner das als „creepy“ deuten, ist zwar nicht beabsichtigt, passt aber dafür umso besser. Denn es ist wahrlich „beängstigend“, was der elektrische G alles bewältigt. © Fotos (5): Mercedes-Benz

Die G-Klasse mit Akkuantrieb zelebriert ihren Kraftakt ganz unaufgeregt, während beim Klassiker der Leiterrahmen vibiriert. © Mercedes-Benz

Deshalb ist es vom hartgesottenen Armee-Arbeiter längst zum Lifestyle-Objekt und zum meistverkauften Modell in der AMG-Palette geworden. Und jetzt proben sie in Graz gar vollends die Quadratur des Kreises und machen es auch noch zum Elektroauto. Als G580 ­powered by EQ-Technology, so der offizielle Name, weil sich die G-Klasse selbst über die Nomenklatur von EQE- und EQS-Modellen hinwegsetzen kann, will der Methusalem im Mercedes-Programm für Schätzpreise knapp unter ­200.000 Euro vom Herbst an beweisen, dass auch Saurier mit dem Strom gehen können und nicht zum Aussterben verdammt sind. 

Und egal ob Batterie oder Benzintank, eine G-Klasse wäre keine G-Klasse, wenn die Kunden dabei nicht Kompromisse machen müssten, erhöht Baureihenchef Emmerich Schiller die Spannung und verspricht: „Auch mit Akkuantrieb wird der Geländewagen genauso gut fahren wie mit einem Achtzylinder. Oder vielleicht sogar besser.“

Der EQG 580 kommt ohne den großen, integrierten Bildschirm und das Multimediasystem MB UX der EQ-Baureihen daher. © Mercedes-Benz

Dafür hat sich Schiller einmal mehr über die Familienplanung aus Stuttgart hinweggesetzt. Ja, das kürzlich für alle Modellvarianten vorgestellte Interieur mit den großen, integrierten Bildschirmen und dem neuesten Stand von MB UX riecht nach Großserie, und die Batterien mit stattlichen 116 kW/h stammen aus dem EQS – selbst wenn sie hier wegen kurzen Radstandes halbiert und im Doppelpack installiert wurden wie bei einem Sandwich. Doch anders als die übrigen EQ-Modelle nutzt der elektrische G nicht einfach eine bestehende Skateboard-Plattform, sondern bekommt eine maßgeschneiderte Elektroarchitektur, die im unverzichtbaren Leiterrahmen integriert ist. Weil eine G-Klasse ohne Sperren keine G-Klasse ist, haben die Ingenieure dieses Konzept in die E-Zeit übertragen und jedem Rad einen eigenen, individuell zu steuernden Motor spendiert und dafür – eine weitere Unumgänglichkeit beim G – eine neue Starr­achse ins Heck geschraubt. Und weil sich E-Motoren bei niedrigen Drehzahlen nicht so richtig wohlfühlen, hat Schillers Truppe ein Untersetzungs- oder in diesem Fall besser Übersetzungsgetriebe für niedrige Geschwindigkeiten eingebaut. So drehen die Motoren im Kriechgang höher, erhitzen sich langsamer und können zudem mehr rekuperieren. 

Kein Wunder also, dass sich die Berg-und-Tal-Fahrt am Fuß des legendären Hausbergs Schöckl kaum auf die Reichweite des Prototypen auswirkt und nach Stunden im Schmutz noch keine 20 Prozentpunkte des Akku­stands fehlen.

Auf 460 Kilometer Normreichweite kommt der G damit, verspricht Chefingenieur Fabian Schossau und hat dafür sogar – Sakrileg! – ein wenig am Design gefeilt. Allerdings dankenswerterweise so, dass man es fast nicht sieht. Denn vom albernen LED-Grill einmal abgesehen, den man Gott sei Dank auch abbestellen kann, hat er nur ein wenig die Motorhaube angestellt, als hätte AMG die Finger in Spiel gehabt, und ein paar Schlitze in die Radläufe geschnitten, durch die sich die Luft ein wenig effizienter um die 22-Zöller legt. ­­Das bringt zwar im Windkanal ein paar Punkte an der zweiten Stelle hinter dem Komma. Aber keine Sorge: Neben Autos wie dem EQS SUV mit einer ganz ähnlichen Normreichweite sieht die G-Klasse noch immer aus wie ein frischer Block Kernseife neben einem abgegriffenen Stück Hotelkosmetik. 

Wo selbst die S-Klasse als EQS ihren Namen einbüßte, steht in der elektrischen G-Klasse am Heckdeckel einfach: G 580. © Mercedes-Benz

Und wenn man erlebt, mit welcher Urgewalt sich die gut und gerne drei Tonnen Stahl und Lithium-Ionen beim Kickdown dem Horizont entgegenschleudern, dann sollte AMG-Kunden Angst und Bange werden. Nicht umsonst summieren sich die Eckdaten der vier Motoren auf knapp 590 PS und auf beinahe 1.200 Nm Drehmoment. Ganz ohne Spektakel stiehlt der EQG dem G63 deshalb die Schau, sprintet in deutlich unter fünf Sekunden auf Tempo 100 und hält beim Kickdown immerhin bis 180 Sachen mit. Und wer zumindest sein eigenes Wort noch verstehen will, fährt in einer G-Klasse ohnehin nicht schneller. 

Aber Zahlen vermögen ohnehin kaum auszudrücken, was man mit dem elektrischen G erleben kann. Erst recht nicht im Gelände. Denn vollkommen mühelos und wie von Zauberhand klettert der Koloss über Stock und Stein und wuchtet sich Steigungen hinauf, bei denen selbst Reinhold Messner die Puste ausgehen würde. Nur um sich gleich danach gebremst allein von der Rekuperationsleistung der E-Maschinen wieder Hänge hinunterzustürzen, an denen der König der Achttausender zu Seil und Haken greifen würde. 

Ja, das alles kann die G-Klasse auch. Aber wo die dafür weithin hörbar arbeiten muss, laut aufbrüllt und bisweilen bis in die Grundfesten ihres Leiterrahmens zu vibrieren beginnt, zelebriert der EQG den Kraftakt ganz unaufgeregt und ohne Vorwarnung und nimmt dem Fahrer dabei auch noch das letzte bisschen Arbeit und Entscheidungsbedarf ab. Denn wer sich unsicher ist im Gelände, der aktiviert einfach den „Creepmode“ und rollt wie mit einem Tempomat im Kriechgang durchs Abenteuer. Dass die Amerikaner das als „creepy“ deuten, ist zwar nicht beabsichtigt, passt aber dafür umso besser. Denn es ist wahrlich „beängstigend“, was der elektrische G alles bewältigt.

Im Gelände besser als je zuvor und dabei noch leichter zu handhaben, politisch, nun ja, nicht mehr ganz so inkorrekt und mit Funktionen wie dem G-Turn der absolute Showstar auf dem Kiez und in der Kiesgrube: Zwar wird die G-Klasse mit Akkuantrieb zum ultimativen E-SUV und hat das Zeug für die nächsten 500.000 Exemplare. Doch ist sie deshalb nicht notgedrungen nur ein weiteres Elektroauto in der Reihe von EQE und EQS. Sondern Schillers G-Team hat Wert darauf gelegt, dass der G ein G bleibt. Wo selbst eine S-Klasse auf dem Weg in die Zukunft ihren Namen einbüßen und zum EQS werden musste, bleiben der G-Klasse solche Albernheiten erspart, und am Heckdeckel steht einfach nur G 580. Thomas Geiger

www.mercedes-benz.de

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