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Erinnern I: Floris Hommes (li.), Vorsitzender Lagerhaus G Heritage Foundation und Mario Mazzacani, Sohn von Angelo Giacomo Mazzacani, der am Dessauer Ufer traumatisierten wurde. Auf der Acrylgedenkplakette sind die Namen der Angehörigen aufgebracht. © Matthias Schinck
Gedenken im Hafen

Angehörige der Opfer vom Lagerhaus G am Dessauer Ufer stellen ihre Pläne für eine Gedenkstätte erstmalig vor

Erstmalig äußern sich die Besitzer des Lagerhauses G auf dem Grasbrook öffentlich zu ihren Plänen mit dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude am Dessauer Ufer. Floris Hommes, Vorstand der Lagerhaus G Heritage Foundation, und Güven Polat, Bevollmächtigter der Lagerhaus G Heritage Kommanditgesellschaft (KG), hatten Anfang September zu einem Pressetermin eingeladen und bei einem Rundgang über den Zustand und die weiteren Vorhaben berichtet. Der historische Backsteinbau, in dem während der Nazidiktatur Kriegsgefangene untergebracht und viele von ihnen ums Leben kamen, wurde im März 2018 von der KG erworben. Das bestätigte der Geschäftsmann auf Nachfrage der HafenCity Zeitung. Kritik äußerte Polat am Verhalten der Hafenbehörde und der HafenCity Hamburg GmbH. „Seit drei Jahren versuchen wir Gespräche mit den Behörden zu führen und wurden immer wieder vertröstet.“, sagte Polat. Es fehle der Stadt Hamburg an einem echten Kooperationswillen.
Foto oben: Floris Hommes (li.), Vorsitzender Lagerhaus G Heritage Foundation und Mario Mazzacani, Sohn von Angelo Giacomo Mazzacani, der am Dessauer Ufer traumatisiert wurde. Auf der Acrylgedenkplakette sind die Namen der Angehörigen aufgebracht. © Matthias Schinck

Seit drei Jahren versuchen wir Gespräche mit den Behörden zu führen und wurden immer wieder vertröstet. Es fehlt der Stadt Hamburg an einem echten Kooperationswillen.“
Güven Polat, stellvertretender Vorsitzender der Lagerhaus G Heritage Kommanditgesellschaft (KG)

Erinnern III: Mahnmal des Künstlers Carsten Bardehle, das kurzfristig vor dem Lagerhaus G abgestellt wurde. © Matthias Schinck
Erinnern III: Mahnmal des Künstlers Carsten Bardehle, das kurzfristig vor dem Lagerhaus G abgestellt wurde. © Matthias Schinck

Unterstützung für sein Vorhaben bekommt Polat von seinem langjährigen Freund Bülent Kayaturan alias Bedo, der nach 18 Jahren „Oriental Night“ bei Hamburg 1 Fernsehen mit der Late Night Show „By Bedo“ in Kürze auf Sendung geht. Als weiterer Eigentümer fungiert die niederländische Immobilienfirma Holtburgh aus Dordrecht.

Floris Hommes aus Groningen hat eine besondere Verbindung mit dem Gebäude. Sein Großonkel Gerrit Christiaan Hommes wurde 1945 im Lagerhaus G, das damals eine Außenstelle des KZ Neuengamme war, getötet. Floris Hommes ist Manager in der pharmazeutischen Industrie. „Für uns als Angehörige und Nachkommen ist es immens wichtig, dass wir mitentscheiden können, wie unseren Vorfahren im Lagerhaus G gedacht wird.“ Die Stiftung möchte nach eigener Aussage den Nachfahren, der an diesem Ort zu Tode gebrachten oder misshandelten Menschen in einem demokratischen Prozess ein direktes Mitsprache- und Entscheidungsrecht geben. So wolle man Fehler vermeiden, die an anderen Erinnerungsorten der Hansestadt gemacht wurden.

Ein Mitspracherecht erhofft sich auch die Initiative Dessauer Ufer, in der sich junge Historiker und geschichtsinteressierte Menschen zusammengefunden haben. Die initiative erforscht die Geschehnisse rund um das Lagerhaus G. Lisa Hellriegel, Geschichtsstudentin aus Hamburg ist eine von ihnen und organisiert Führungen und Ausstellungen. Sie sagt: „Wir setzen uns ein für einen Lern- und Gedenkort und haben konkrete Vorschläge erarbeitet.“ Als Beispiel nennt die 24-jährige die Organisation und Gestaltung internationaler Begegnungen im Lagerhaus G, ähnlich der Auftaktveranstaltung am 8. September, zu der Hinterbliebene der italienischen Gefangenen eingeladen waren.

Herzergreifende Szenen spielten sich ab, als Mario Mazzacani, der Sohn des Gefangenen Angelo Giacomo Mazzacani, mit einem Kamerateam des NDR den Ort des Schreckens besichtigte. Über 75 Jahre später leiden die Kinder, heute selbst Großeltern, noch immer unter dem Verlust ihrer geliebten Menschen. Mazzacani, der in den Niederlanden lebt, bricht in Tränen aus, bei der Vorstellung, wie sein Vater an diesem Ort unter unmenschlichen Bedingungen zur Sklavenarbeit gezwungen wurde. Seine Frau, die ihn nach Hamburg begleitet, hält mit tränenerstickter Stimme eine Rede und erzählt aus dem Leben ihres Schwiegervaters.

Für uns als Angehörige und Nachkommen ist es immens wichtig, dass wir mitentscheiden können, wie unseren Vorfahren im Lagerhaus G gedacht wird.“
Florin Hommes, Pharmamanager, Stiftungsvorstand

Erinnern II: Bülent Kayaturan (v.l.n.r.), Floris Hommes (Vorsitzender der Stiftung Lagerhaus G Heritage), Mario Mazzacani mit Frau Maria und Sohn Luciano, sowie Güven Polat, (Lagerhaus G Heritage Kommanditgesellschaft). © Matthias Schinck
Erinnern II: Bülent Kayaturan (v.l.n.r.), Floris Hommes (Vorsitzender der Stiftung Lagerhaus G Heritage), Mario Mazzacani mit Frau Maria und Sohn Luciano, sowie Güven Polat, (Lagerhaus G Heritage Kommanditgesellschaft). © Matthias Schinck

Die meisten Verantwortlichen der Verbrechen und die Profiteure der Zwangsarbeit leben nicht mehr. Die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) und Nachfolger der Hamburger Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft ist sich ihrer historischen Verantwortung bewusst. Das sagte Torben Seebold, Vorstandsmitglied der HHLA auf der Veranstaltung der Stiftung. Sichtlich ergriffen von den Schilderungen der Angehörigen sagt Seebold direkt an die Hinterbliebenen gerichtet: „Im Namen der HHLA bitten wir um Vergebung.“ Eine Geste der Versöhnung, die das Publikum und die Angehörigen mit Applaus begrüßten. Auf der Kundgebung der Nationalen Vereinigung der italienischen Militärinternierten, bei der Seebold als Gastredner auftrat, verspricht der Vorstand eine Zusammenarbeit mit allen Beteiligten und offene Türen bei der Aufklärung und Aufarbeitung der Kriegsverbrechen auf dem Hafengelände. 

Vor der Tür stand der 69-jährige ehemalige Schlosser Carsten Bardehle aus den Vierlanden. Vor zwei Jahren hat er ein Mahnmal nach den 2011er Entwürfen der Schülerin Ella Nora Sloman aus Bergedorf gebaut und sucht nun einen Platz für die 400 Kilogramm schwere Stahlkonstruktion. Vielleicht hat er ihn am Lagerhaus G gefunden, nachdem die Gedenkstätte Neuengamme ihn mehrmals abgelehnt hat.

Bis heute erinnern nur ein paar Gedenktafeln und ein Stolperstein vor dem Gebäude an die Verbrechen, die sich hier abgespielt haben. Zum Abschluss der Veranstaltung legten die Teilnehmer Blumen um den Stolperstein nieder. Gedacht wurde Margarethe Müller, die mit ihren zwei Töchtern hierher verschleppt wurde und am 27. Juli 1944 starb. Tochter Nina starb am 17. April 1945 im KZ Bergen-Belsen aus dem die Schwester Melitta mit 17 Jahren befreit wurde. Nur wenige Tage vor dem Gedenken starb Melitta in den USA im Alter von 93 Jahren und damit wieder eine Zeitzeugin, die vom unfassbaren Leid erzählen könnte. Die Akteure rund um das Lagerhaus G haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese Erinnerung wach zu halten. Matthias Schinck

INFO Weitere Informationen finden Sie auf Lagerhaus G – und: Initiative Dessauer Ufer 

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