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Kommentar MSC-Neubau: »Nicht alles, was erlaubt ist, ist ehrbar!«

Kommentar. Warum Marianne Wellershoff, Vorständin im Netzwerk HafenCity e. V., gegen den MSC-Bau am Ericusfleet ist – und wenn schon der Bau nicht zu verhindern sei, dann bitte Grünflächenausgleich vor Ort

Marianne Wellershoff ist Journalistin und Zweite Vorsit­zende im Netzwerk HafenCity e. V. Sie hat die Arbeits­gemeinschaft AG Grün initiiert und lebt in der HafenCity am Lohsepark. © Privat

Der Name klingt heute ein wenig antiquiert, aber der moralische Anspruch der schon rund 500 Jahre alten „Versammlung eines ehrbaren Kaufmanns“ ist zeitlos aktuell. „Nicht alles, was erlaubt ist, ist ehrbar“, sagte der Vorsitzende Jochen Spethmann bei der Jahresversammlung der führenden Hamburger Kaufleute im vergangenen Dezember. Ehrbare Kaufleute „verzichten auf das opportunistische Ausnutzen von möglichen Lücken“.
Foto oben: Eine kleine Naturoase am Ericusfleet mit einer „wunderschönen alten Weide, umgeben von einem Birkenwäldchen. Es ist eines der letzten ökologisch wertvollen Grundstücke in der HafenCity, das der rot-grüne Senat nun bebauen lassen will.“ © Wolfgang Timpe

Ich verstehe das so: Man akzeptiert eine Vorschrift so, wie sie ihrem Sinn nach gemeint ist, man sucht nicht die Lücke, man nimmt nicht die Ausnahmereglung in Anspruch. Klarheit und Verlässlichkeit schaffen Vertrauen. Und Vertrauen ist die Basis für ein funktionierendes Miteinander von Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivil­gesellschaft.

Vorschriften haben einen Sinn und ein Ziel. Eines der wichtigsten Themen unserer Zeit ist Klima- und Artenschutz, deshalb gibt es dazu Regelungen: Ein festgelegter Anteil von Begrünung bei Bauvorhaben soll Schatten schaffen, Kühlung und Lebensraum für Tiere. Wenn eine Erholungsfläche an einer Stelle wegfällt, soll in der Nähe ein Ersatz entstehen. Gutachten sollen ermitteln, welche Tiere und Pflanzen an einem Ort vorkommen, damit Schutzmaßnahmen insbesondere für gefährdete Arten festgesetzt werden können.

Aber wie sieht es damit in der HafenCity aus? Nun ja. Als die Hamburg Port Authority (HPA)noch ihre Zentrale am Lohsepark bauen wollte, erhielt sie eine Ausnahmegenehmigung. Ihr wurde erlaubt, den gesetzlichen Grünflächenanteil und die gesetzliche Mindestfläche für Bäume zu unterschreiten. Für das sogenannte Null-Emis­sionshaus, das die HafenCity Hamburg GmbH neben dem Kraftwerk in der Straße Am Dalmannkai errichten will, wurden im neuen Bebauungsplan die ursprünglich vorgesehenen 800 Quadratmeter Grün gestrichen. Dafür wurde unter anderem festgesetzt, dass an der südlichen Gebäudeseite „eine Wand- und Fassadenbegrünung mit Schling- oder Kletterpflanzen vorzunehmen und dauerhaft zu erhalten“ sei. In der Baugenehmigung entfiel diese Begrünung.

Klima- und Artenschutz werden ­geschwächt und verlieren an Wirkung.
Und das Vertrauen in Senat und
­Behörden wird auch beschädigt. 

Ein weiteres Beispiel: Im Jahr 2011 wurde ein Gutachten über die zentrale und östliche HafenCity angefertigt, das den Zustand von Flora und Fauna darstellte. Nach Auskunft des Senats sollen solche ökologischen Bestandserfassungen immer dann erneuert werden, wenn sie älter als fünf bis sieben Jahre sind und es „größere Veränderungen“ gab. Nach 2011 wurde eine riesige Halbinsel in den Baakenhafen gebaut. Wurde beim Bebauungsplanverfahren für die Wasserhäuser im Jahr 2022 eine neue ökologische Bestandserfassung angefertigt? Nein.

Wenn das Dokumentationszentrum am Ericusfleet gebaut wird, fällt naturschutzrechtlich geschütztes Schilf weg und außerdem ein Teil des Lohseparks. Eigentlich soll in solchen Fällen in der Nähe ein adäquater Ausgleich stattfinden. Die Realität sieht so aus: Eine entsprechende Schilffläche wird am Kleinen Grasbrook gepflanzt. Als Ersatz für die entfallene Parkfläche wird die Dachbegrünung des Dokumentationszentrums mitgerechnet, leider darf das Dach nicht von Erholungssuchenden betreten werden. Außerdem werden die Baumscheiben am Lohseplatz begrünt. Nach dieser Logik schafft jeder Baumscheibenpate in der HafenCity ein Miniatur-Naherholungsgebiet fürs Quartier.

Und nun noch die geplante MSC-Zentrale auf Baufeld BF 73 am Ericusfleet (siehe Bericht ­Seite 14). Eine wunderschöne alte Weide wächst dort, umgeben von einem Birkenwäldchen. Es ist eines der letzten ökologisch wertvollen Grundstücke in der HafenCity, das der rot-grüne Senat nun bebauen lassen will. Hier an der Kaimauer gibt es eine „erhebliche Dichte an Großmuscheln“, wie es im Bebauungsplan heißt. Die Bebauung führe zum „Verlust von hochproduktiven Lebensstätten Wirbelloser, die als wertvolles Nahrungshabitat in der Nahrungskette ökologisch wesentliche Funktionen insbesondere für Fische erfüllen“. 

Ein 2.900 Quadratmeter großer Ausgleich dafür ist vorgesehen – im Bezirk Bergedorf! Gesetzlich erlaubt ist das, ausnahmsweise. Die Frage ist: Wie kommen die hungrigen Fische aus dem Ericusfleet nach Bergedorf? Und natürlich: Warum baut MSC nicht auf einem der vielen anderen freien Grundstücke in der HafenCity – wie zum Beispiel BF 119 an der S-Bahn-Station Elbbrücken mit perfekter ÖPNV-Bahn-Infrastruktur –, die ökologisch nicht so bedeutsam sind?

Die Ausnahme ist eben leider keine Ausnahme. Dies widerspricht dem Sinn und dem Ziel der Vorschriften zum Klima- und Artenschutz, denn diese werden geschwächt und verlieren an Wirkung. Und das Vertrauen in Senat und Behörden wird auch beschädigt.

Wie heißt es noch? Nicht alles, was erlaubt ist, ist ehrbar! Marianne Wellershoff

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Marianne Wellershoff ist Journalistin und Zweite Vorsit­zende im Netzwerk HafenCity e. V. Sie hat die Arbeits­gemeinschaft AG Grün initiiert und lebt in der HafenCity am Lohsepark.© Privat

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