Bei der kommenden Bundestagswahl will Christoph de Vries, Mitglied des Deutschen Bundestages (MdB) seit 2017, das Direktmandat der CDU für den Wahlkreis Hamburg-Mitte wiedergewinnen – mit Prinzipien statt Pragmatismus
Herr de Vries, als gebürtiger Hamburger verkörpern Sie die Diaspora an der Elbe: Sie sind Katholik, ein Außenseiter in der protestantischen Hochburg, und haben auf der katholischen Sankt-Ansgar-Schule Ihr Abitur gemacht. Sind Sie der CDU vor allem durch die konservativen Werte des Katholizismus verbunden? Das würde ich nicht sagen. Ich habe mein ganzes Leben katholische Institutionen wie Kindergarten, Grundschule und Gymnasium besucht und war Messdiener und Pfadfinder. Aber zur CDU bin ich auf anderem Weg gekommen, und zwar über den Gedanken der europäischen Integration. Als ich Bildungsseminare zu diesem Thema besucht habe, habe ich meinen politischen Ziehvater Wolfgang Kramer kennengelernt, der langjähriger stellvertretender Vorsitzender der CDU Hamburg-Mitte war. So bin ich zur CDU gestoßen. Die Idee der europäischen Einigung, des partnerschaftlichen Miteinanders nach den beiden Weltkriegen hat mich fasziniert – auch verbunden mit Helmut Kohl als Person. Foto. oben: CDU-Bundestagsabgeordneter Christoph de Vries: „Ich bin der einzige Hamburger Abgeordnete im Deutschen Bundestag, der sich um die Innere Sicherheit kümmert und jeder weiß, dass eine Metropole wie Hamburg immer auch Kriminalitäts-Hotspot ist. Und wir können heute sagen: Hamburg und Deutschland sind so sicher wie nie zuvor.“ © Privat
Kurz nach Ihrem Abi sind Sie 1995 in die Junge Union der CDU Hamburg eingetreten. Was hat den 20-jährigen Abiturienten Christoph de Vries damals in die strikt wertekonservative CDU Helmut Kohls gelockt? Ich bin durch und durch Christdemokrat und kann mit dem Etikett „konservativ“ wenig anfangen. Ich glaube, die Stärke der CDU ist die Breite des Spektrums, das Sie abbildet. Die CDU ist nicht Entweder-oder sondern Sowohl-als-auch. Das gilt in diesen Tagen um so mehr. Es geht nicht darum, Gegensätze zu betonen, sondern Gemeinsamkeiten und unterschiedliche Interessen zusammenzuführen. Das hat mich von Anfang an fasziniert. Mich hat die deutsche Einheit begeistert – meine Frau kommt übrigens auch aus einer Familie, die wenige Tage vor dem Mauerbau geflüchtet ist – genauso wie die europäische Einigung. Aber natürlich haben Sie Recht: Konservative Werte wie Familie als Keimzelle der Gesellschaft gehören für mich auch unbedingt dazu.
Wie wird man durch und durch Christdemokrat, wie Sie es eben formuliert haben? Ich war immer politisch interessiert. Mit zehn Jahren habe ich morgens mit meinem Vater am Frühstückstisch darüber gestritten, wer zuerst den Sport- oder Politikteil liest. Aber meine Eltern haben mich nie in eine Parteirichtung gedrängt. Im Gegenteil. Ich bin in die CDU eingetreten und habe meine Eltern nachgeholt. Wissen Sie, mein Vater war Exportkaufmann, er und die Familie mit ihm war sein ganzes Leben in der Welt unterwegs. Ich habe mein erstes Lebensjahr in Dubai verbracht, mein Vater war viele Jahre in Vietnam, wir hatten regelmäßig afrikanische Geschäftsfreunde bei uns zu Hause zu Gast. Diese Weltoffenheit, die auch für die Stadt Hamburg steht, hat mich auch geprägt.
Dann sind Sie ja fast ein Gegenschnitt zu Ihrem Vater. Sie haben eine durchgängig hanseatische Biografie und sind nicht in der Welt herumgekommen. Sind Sie das kleine Hamburg-Karo Ihres Vaters? Das würde ich nicht sagen. Hamburg ist nicht Provinz, sondern eine Metropole. Wir haben die Welt hier in Hamburg zu Hause, mit den Menschen aus aller Welt und dem internationalen Handel. Aber es stimmt: Ich habe Hamburg nie verlassen und auch manchmal bereut, dass ich nicht woanders studiert habe. Damals hat mich die Liebe in Hamburg gehalten. Aber ich hatte immer großes Interesse an Außenpolitik und lese gern Bücher über das Ausland, über den Irak, über Afghanistan.
Wie empfanden Sie in den vergangenen 16 Jahren die von der Bundeskanzlerin sozialdemokratisierte CDU? Sind Sie Merkel- oder Friedrich-Merz-Anhänger? (lacht) Vielleicht bin ich dazwischen. Angela Merkel ist eine kluge und beeindruckende Persönlichkeit, die große politische Leistungen für unser Land vollbracht hat. Man darf nicht vergessen: Wir haben den längsten wirtschaftlichen Aufschwung hinter uns – bis Corona begann. Zehn Jahre Wirtschaftsaufschwung, steigende Einkommen, steigende Renten, große soziale Sicherheit und wir haben eine wichtige friedenstiftende Rolle in Europa gespielt und da hat sie als kluge Diplomatin ihren riesigen Anteil dran. Meine Vorstellung von Politik ist allerdings – anders als bei Angela Merkel – stärker von Prinzipien geleitet und nicht von grenzenlosem Pragmatismus. Ich finde es wichtig in der Politik, selbst Prinzipien und Überzeugungen zu haben. Wer die nicht hat, dem fällt es schwer, andere Leute von Politik zu begeistern. Man braucht einen inneren Kompass und darf seine Politik nicht nur nach Stimmungen ausrichten.
Christoph de Vries ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages für die CDU und tritt zur Bundestagswahl am 26. September zu seiner Wiederwahl im Wahlkreis 18 Hamburg-Mitte an. Der 46-jährige gebürtige Hamburger studierte nach dem Abitur an der Uni Hamburg Soziologie und in den Nebenfächern Volkswirtschaft, Politik und Psychologie. Nach elf Jahren als Angestellter in der Finanzbehörde, dort u.a. für den Haushalt zuständig, wechselte de Vries in die Politik. In der CDU war der gläubige Katholik schon kurz nach dem Abitur Mitglied der CDU geworden und machte die harte Parteitour von der Arbeit in der Bezirksversammlung über die Hamburgische Bürgerschaft in den Bundestag. Seit 2007 ist er Mitglied im CDU-Landesvorstand, seit 2015 Kreisvorsitzender der CDU Hamburg-Mitte und seit 2016 stellvertretender Landesvorsitzender. Christoph de Vries ist „begeisterter Familienvater“, verheiratet und hat zwei
Töchter (13 und 10 Jahre) und einen Sohn (4 Jahre). Seine Frau ist Grundschullehrerin für Englisch und Musik und koordiniert an ihrer Schule JeKi, Jedem Kind ein Instrument, als musikalisches Angebot für alle Kinder. Er ist leidenschaftlicher HSV-Fan von Kindesbeinen an, aktiver Tischtennisspieler, seit seinem 11. Lebensjahr spielt er in der Spielvereinigung Blankenese. Er wohnte auf St. Pauli, in Hamm, im Portugiesenviertel und lebt nun seit einigen Jahren mit Familie in Lurup-Osdorf.
Sie beenden gerade Ihre erste Legislaturperiode als CDU-Parlamentarier im Deutschen Bundestag. Wie fällt Ihre Bilanz nach fünf Jahren Hamburger in Berlin aus? Das war eine wahnsinnig aufregende Zeit, es gab ja überhaupt keine normalen Phasen. Allein im letzten Jahr habe ich mit so vielen Existenznöten von Unternehmern und Menschen zu tun gehabt, die sich persönlich an mich gewandt haben. Ich habe immer und überall versucht zu helfen, weil es einem auch persönlich nahe-geht, wenn Menschen, die ihr Leben lang erfolgreich waren, ohne eigenes Verschulden in Not geraten und nicht die Möglichkeit haben, aus eigener Kraft da herauszukommen. Das war einerseits schwierig, andererseits ist es auch eine Erfüllung, ganz konkret helfen zu können.
Was haben Sie für Hamburg bewegen können? Ich bin der einzige Hamburger Abgeordnete im Deutschen Bundestag, der sich um die Innere Sicherheit kümmert und jeder weiß, dass eine Metropole wie Hamburg immer auch Kriminalitäts-Hotspot ist. Und wir können heute sagen: Hamburg und Deutschland sind so sicher wie nie zuvor. Wir haben als Union eine riesige Sicherheitsoffensive gestartet, wir haben den Etat für die Innere Sicherheit verdoppelt, das Personal in den Sicherheitsbehörden um 50 Prozent aufgestockt und heute das niedrigste Niveau an Straftaten, seitdem wir sie statistisch erfassen. Dass wir den Menschen gerade in Stadtteilen wie St. Pauli, St.Georg und am Hauptbahnhof ein Stück Sicherheit geben können, ist ein großer Erfolg. Man kann das auch konkret bemessen: Wir haben 220 Bundespolizisten mehr in Hamburg – am Hauptbahnhof, an den S-Bahnhöfen, am Flughafen. Was mich immer noch umtreibt, ist der Kampf gegen den Extremismus und hier speziell den Islamismus. Aus meiner Sicht ist es eine große Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn Menschen unsere Werte nicht mehr teilen oder sogar Gegengesellschaften bilden. Da habe ich mich stark engagiert und die Fraktion hat jetzt ein Positionspapier, das ich geschrieben habe, einstimmig beschlossen.
Können Sie das Positionspapier für uns in einem Satz zusammenfassen? Dass man den religiösen Extremisten mit Distanz und Ächtung begegnet und nicht glaubt, sie im Dialog für die Demokratie gewinnen zu können. Dass man mit ihnen genauso umgeht wie mit den Links- und Rechtsextremisten und wir Jugendliche nicht an Erdogan & Co. verlieren dürfen.
»Ich finde es wichtig in der Politik, selbst Prinzipien und Überzeugungen zu haben. Wer die nicht hat, dem fällt es schwer, andere Leute von Politik zu begeistern. Man braucht einen inneren Kompass und darf seine Politik nicht nur nach Stimmungen ausrichten.«
Was ist denn das beste Mittel gegen Extremismus, egal in welche Richtung er driftet? Extremismus ist immer eine Abwendung von den Grundwerten unserer Gesellschaft. Dazu gehört der gewaltfreie Diskurs, der Austausch von Argumenten, der Respekt voreinander. Alle Extremisten lehnen das aus unterschiedlichen ideologischen Motiven ab. Und genauso haben alle Extremisten gemeinsam, dass sie Zugang zu dieser Radikalisierung bekommen, weil sie selbst Schwächen haben, sich isoliert fühlen und Orientierung suchen. Deshalb ist es so wichtig, dass die jungen Menschen von der demokratischen Zivilgesellschaft abgeholt werden und dort Orientierung und Hilfe bekommen und sich nicht in die Extreme flüchten müssen. Wir beobachten bei den Tätern extremistischer Taten häufig psychische Erkrankungen und das bedeutet: Wir müssen wachsam sein und viel früher ansetzen. Ein Beispiel dazu aus dem Islamismus: Wenn Jugendliche permanent damit indoktriniert werden, dass Gleichberechtigung nicht zählt, dass Homosexuelle minderwertig sind, dass die Pressefreiheit nicht zählen darf, wenn man Religionskritik übt, dann wird das zu einer antidemokratischen und antiliberalen Haltung führen. Wir müssen zusehen, dass wir das nicht zulassen.
Ihr SPD-Konkurrent um Wähler:innen-Stimmen aus Hamburg-Mitte ist der Bezirkschef Mitte Falko Droßmann. Hat er durch den sogenannten Amtsbonus als Bezirkschef einen Vorteil? Das wird man sehen. Ich schätze Falko Droßmann und kenne ihn gut. Er ist ein erfahrener Kommunalpolitiker, bundespolitisch ist er allerdings bisher wenig in Erscheinung getreten. Ich glaube, ich kann für mich in Anspruch nehmen, dass ich in den vergangenen vier Jahren sehr präsent, aktiv und immer ansprechbar war. Das heißt, die Menschen kennen mich. Darauf baue ich.
Oder haben Sie einen Amtsbonus als wiederzuwählender CDU-Berlin-Abgeordneter? Ich glaube schon, dass es ein Vorteil ist, bekannt zu sein und die Menschen wissen, was ich tue. Ich werde jetzt manchmal von mir fremden Menschen mit Namen begrüßt, das zeigt, dass die Popularität gestiegen ist. Und noch etwas ist ein entscheidendes Argument: Die Menschen werden sich überlegen, welche Partei am Ende eine reelle Chance hat zu regieren und die Chance, dass die SPD der nächsten Regierung angehört, ist im Moment überschaubar. Sie will nicht mehr mit uns koalieren, hält das aber mit der Linkspartei für möglich. Das heißt, wenn jemand will, dass ein Hamburger Abgeordneter etwas bewegt in Berlin, spricht das für mich.
Bereitet es Ihnen als strikter Christdemokrat schlaflose Nächte, dass womöglich die Grünen mit einem erheblichen Stimmenanteil zu einer Regierungskoalition mit der CDU gehören könnten? Nein. Wir sind jetzt im Wettbewerb. Die Grünen haben in den letzten Wochen eine Performance hingelegt, die ich selbst nicht für möglich gehalten hätte. Das Größte, was die Kandidatin Baerbock hatte, war ihre Glaubwürdigkeit und die hat sie in Rekordzeit eingebüßt. Wohin das führt, wird man sehen, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Wahl gewinnen. Mein Wunschbündnis wäre nicht mit den Grünen.
Welches wäre das? Mein Wunschbündnis wäre ein bürgerliches Bündnis zusammen mit der FDP. Aber: Am Ende entscheiden die Wähler.
Droßmann gilt als ruppig-pragmatischer Politiker mit sozialer Empathie, der keinem Konflikt aus dem Weg geht. Was zeichnet Sie aus? Ich glaube, dass ich ein Politiker mit Rückgrat und Überzeugung bin. Das vertrete ich auch gegenüber der Kanzlerin in der Bundestagsfraktion, wenn ich anderer Meinung bin als sie. Ich habe nie Politik gemacht um der Karriere willen, sondern um meine Überzeugungen durchzusetzen. Dafür erfahre ich viel Wertschätzung und Anerkennung – auch bei Menschen, die vielleicht keine CDU-Wähler sind.
»Ich bin der einzige Hamburger Abgeordnete im Deutschen Bundestag, der sich um die Innere Sicherheit kümmert und jeder weiß, dass eine Metropole wie Hamburg immer auch Kriminalitäts-Hotspot ist. Und wir können heute sagen: Hamburg und Deutschland sind so sicher wie nie zuvor.«
Sind Sie als gebürtiger Hamburger die klassische hanseatische Alternative zum nordrhein-westfälischen Klarsprecher Droßmann? Ich bin auf jeden Fall durch und durch Hanseat. Das bedeutet für mich aufrichtig, bürgerlich und bescheiden zu sein und Wort zu halten. All das nehme ich für mich in Anspruch.
Ihr Vorgänger im Direktmandat Hamburg-Mitte war der Dukatenesel Johannes Kahrs, der in Berlin hunderte von Subventionsmillionen für Hamburg organisierte (u.a. die „Peking“). Falko Droßmann setzt im Wahlkampf auf sein soziales Profil und will im Bundestag versuchen, Reformen im Sozialsystem zu starten. Was ist Ihr persönliches Wahlversprechen für die Menschen in Mitte? Mit sind drei Themen ganz wichtig: Ich will mich erstens weiterhin für die Sicherheit der Menschen engagieren. Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden und wir müssen ein wehrhafter Rechtsstaat sein. Das zweite: Hamburg Mitte ist das wirtschaftliche Herz unserer Stadt – mit dem Hafen, dem Einzelhandel und der Clubszene auf St. Pauli. Mir geht es darum, Arbeitsplätze, Unternehmen und Existenzen zu sichern. Und das dritte ist die Familienpolitik: Ich komme aus einer großen Familie, habe selbst drei Kinder und deshalb immer mit Leidenschaft Familienpolitik gemacht. Ich will Familien unterstützen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Mir sind insbesondere die vielen Alleinerziehenden wichtig, die wir in Mitte haben und für die es unglaublich schwer ist, den Alltag zu organisieren. Ihnen müssen wir noch mehr Unterstützung und Rückendeckung geben.
Der Slogan auf Ihrer Website heißt derzeit „Hanseatisch. Mutig. Gut.“ Wo ist Christoph de Vries mutig? Ich mache meinen Mund auf, wenn es nötig ist und sage meine Meinung, auch wenn sie nicht der Fraktionslinie entspricht. Zum Beispiel habe ich mich für Öffnungsschritte in der Pandemie eingesetzt, als das noch nicht die offizielle Linie der CDU war. Ich fühle mich den Menschen hier im Wahlkreis und meinen Überzeugungen verpflichtet. Das ist eine gewisse Form von Mut und eine Politikereigenschaft, die nicht überall verbreitet ist.
Wird es noch einen neuen Slogan geben? „Hanseat mit Format“. Ich glaube, dass es in unserem Land um die grundsätzliche Bedeutung der Frage gehen wird: Wie wollen wir in Zukunft leben? Wie ist das Verhältnis von Freiheit und Staat, von Vorgaben und Bevormundung? Deswegen wird einer meiner Slogans auch heißen: „Freiheit statt Verbote“. Wir als Christdemokraten haben ein anderes Weltbild als die Grünen, unsere Hauptkonkurrenten, und das möchte ich herausstellen. Ich möchte, dass Menschen, die fleißig sind, die sich angestrengt und etwas erarbeitet haben, sich nicht schämen und nicht das verteidigen müssen, was sie tun. Egal ob sie eine Bratwurst essen, mit dem Auto in die Stadt fahren oder in den Urlaub fliegen. Wir wollen Innovationen statt Verbote und wir wollen Freiheit statt Bevormundung.
Was wird aus Ihrer Sicht das beherrschende Wahlkampfthema werden? Eine zentrale Frage wird sein, wie wir nach der Pandemie in die wirtschaftliche Erfolgsspur zurückkommen. Denn die Auswirkungen der Pandemie werden wir erst noch erleben. Während der Pandemie haben wir vieles politisch abgefedert. Wir hätten heute 2,2 Millionen Arbeitslose mehr, wenn wir nicht so lange das Kurzarbeitergeld gehabt hätten. Man kann aber auf Dauer nicht Beschäftigung sichern, die nicht gebraucht und nachgefragt wird. Ein zweites Thema wird die Frage sein, wie wir Klimaschutz schaffen, ohne Deutschland als Industrienation zu beschädigen und zu zerstören. Da haben wir andere Ansätze als unsere Mitbewerber von den Grünen.
Sie sind neben Ihrem Politikbusiness auch elf Jahre Angestellter in der Finanzbehörde und u.a. für den Haushalt der Freien und Hansestadt zuständig gewesen. Haben Sie nicht Lust als 46-Jähriger noch mal in die Welt hinauszuziehen, was ganz anderes zu machen? Für mich ist es eine große Ehre und es macht mir große Freude, die Bürgerinnen und Bürger aus Hamburg-Mitte im Bundestag zu vertreten und das würde ich gerne fortsetzen. Aber Politik ist immer ein Mandat auf Zeit und deshalb kann ich mir auch vorstellen, im Anschluss an die politische Laufbahn etwas ganz anderes zu machen, ins Ausland zu gehen, neue Horizonte zu erschließen, zumindest zeitweilig. Aber ich bin schon sehr mit Hamburg, mit Deutschland verwurzelt, deshalb kann ich mir das dauerhaft nicht vorstellen.
Wie kommt es zu Ihrem Nachnamen de Vries? Der Namen kommt aus dem Ostfriesischen, ist dort sehr verbreitet und heißt übersetzt: Der Friese.
Wie schalten Sie eigentlich vom Politikbetrieb ab? Wissen Sie, wenn Sie einen Arbeitstag von 12 Stunden oder mehr haben und noch versuchen, sich um die Familie zu kümmern, die oft genug zu kurz kommt und wo meine Frau viel allein schultern muss, bleibt nicht mehr so ganz viel. Ich nehme mir Zeit für Haus und Familie, gehe zum HSV, lese gerne zur Entspannung amerikanische oder dänische Krimis und spiele seit meinem 11. Lebensjahr, wann immer es geht, Tischtennis bei der Spielvereinigung Blankenese. Daneben koche ich, da meine Frau nicht so gerne kocht, auch leidenschaftlich gern. In der Pandemie hat uns das Homeschooling, als die Kinder nicht mehr mittags in der Schule gegessen haben, echt an unsere Kochgrenzen gebracht.
Sie sind verheiratet. haben zwei Töchter und einen Sohn. Was sagt die Familie zum Berlin-Reisenden? Man darf sich da nichts vormachen: Das ist eine Belastung für die Familie, gerade weil man keine regelmäßigen Tagesabläufe und Rituale hat, die für Kinder wichtig sind. Der Wechsel zwischen Berlin und Hamburg fällt insbesondere meinem kleinen Sohn schwer, bei meinen Töchtern stelle ich inzwischen auch Stolz und Anerkennung fest. Das Gespräch führte Wolfgang Timpe