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Tanz auf dem Vulkan

Ein Zeitungsartikel sorgt bei Einzelhändlern des Quartiers für Kritik

Worte können verdammt wehtun. Gegenüber der Baugrube vom künftigen südlichen Überseequartier liegt „nur einen Steinwurf entfernt der Überseeboulevard – hier stehen zahlreiche Flächen leer. Die Mieter der Geschäfte wechseln häufig. Gut zu laufen scheinen der Edeka-Supermarkt und die diversen Lokale. … Aber für die Einzelhändler ist es hier schwierig.“ So jüngst ein Artikel im Hamburger Abendblatt, überschrieben mit der Schlagzeile „Flaute für viele Händler in der HafenCity“ und einem Aufmacherbild des menschenleeren Überseeboulevards.

Foto oben: Erfolgsformat Stand-up-Comedy auf dem Überseeboulevard. ©Sternberg Marketing

Erfolgsrezept Langschläfer-Flohmärkte auf dem Überseeboulevard. Foto: Sternberg Marketing
Erfolgsrezept Langschläfer-Flohmärkte auf dem Überseeboulevard.
Foto: Sternberg Marketing

Für Inhaber Lutz Kneissl von der Hafen-Spezerei am Überseeboulevard ist „der Artikel absolut tödlich“ mit Blick auf Banker, die hier künftige Einzelhändler finanzieren sollen. „Das bleibt denen im Kopf. Bad news are good news“, schimpft Kneissl auch noch Tage nach Erscheinen des Artikels. Der erfolgreiche Hafen-Spezerei-Gründer ist ein Mann der ersten Stunde und freut sich wie so viele über die „spürbare Belebung des Überseeboulevards“.  Und Quartiersmanagerin Claudia Weise (siehe Interview re.) liefert Zahlen zum aktuell gemessenen Aufschwung: „Während 2016 am Sonnabend noch 6.328 Menschen den Überseeboulevard passierten, sind es aktuell 10.244 Besucher und damit über die Hälfte mehr (+61,88 Prozent).“ 

„Bürgermeisterin“ Claudia Weise: „Das Wochenmarkt-Konzept auf dem Überseeboulevard stellen wir nach den Sommerferien auf den Prüfstand.“ ©Privat
Quartiersmanagerin Claudia Weise: „Während 2016 am Sonnabend
noch 6.328 Menschen den Überseeboulevard passierten, sind es aktuell 10.244 Besucher und damit über die Hälfte mehr (+61,88 Prozent) als in 2016.“ Foto: Privat

Gleichwohl ist es zurzeit generell schwierig einen gesunden Einzelhandels-Mix von Geschäften zu aquirieren, da erst rund 4.500 Menschen in der HafenCity leben. Das wird sich erst durch das südliche Überseequartier mit u.a. 600 neuen Wohnungen und der wachsenden Anwohnerzahl auf künftig 15.000 ändern. Die HafenCity wächst erst noch. 

Ich würde aus dem südlichen Überseequartier Westfield sofort ein reines Wohngebiet machen.“

Lutz Kneissl, erfolgreicher Unternehmer der ersten Überseeboulevard-Stunde mit seiner Hafen-Spezerei.

Gastronom und Anwohner Antonio Fabrizi vom Club 20457 und dem Bistro TONI ist auch Vorsitzender der Werbegemeinschaft Überseeboulevard. „Ich sehe die Veröffentlichung entspannt. Wir stehen alle vor den gleichen Herausforderungen, die global uns alle betreffen. Es gibt einen großen Wandel der Kundenerwartungen, traditionelle Einzelhandels- und Dienstleistungskonzepte funktionieren immer weniger. Statt Stadtteildebatten zu pflegen, sollten wir an Lösungen arbeiten.“ Wenn Unternehmer Kneissl einen Wunsch frei hätte, würde er „aus dem südlichen Überseequartier Westfield sofort ein reines Wohngebiet“ machen. Denn für ihn hat die HafenCity mit ihren Erdgeschossläden „das tolle -Potenzial, ein Einzelhandelsrevival der 60er Jahre zu schaffen, wo man alles in seinem Quartier um die Ecke bekommen hat“. Andere, auch Quartiersmanagerin Weise sehnen die Belebung durch das südliche Überseequartier herbei.

„Wie sieht eigentlich die Unterstützung von Selbstständigen durch Bezirksämter, Handelskammern und Banken aus? Diese Frage stellt sich jedem Selbstständigen – unabhängig von seinem Standort.“ Foto: Privat
„Wie sieht eigentlich die Unterstützung von Selbstständigen
durch Bezirksämter, Handelskammern und Banken aus? Diese Frage stellt sich jedem Selbstständigen – unabhängig von seinem Standort.“ Foto: Privat

Und den Ex-Banker und umtriebigen Macher „Toni“ Fabrizi treibt neben dem Wunsch nach bezahlbaren Mieten und viel Laufkundschaft vor allem eins um: „Wie sieht eigentlich die Unterstützung von Selbstständigen durch Bezirksämter, Handelskammern und Banken aus? Diese Frage stellt sich jedem Selbstständigen – unabhängig von seinem Standort.“ Treffer, versenkt. Der Einzelhandel und die Zukunft – ein Tanz auf dem Vulkan. Wolfgang Timpe

3 Fragen an …

Dr. Claudia Weise

sprach mit HafenCity Zeitung-Redakteur Wolfgang Timpe über Vermietung und Belebung auf dem Überseeboulevard

Frau Weise, als Quartiersmanagerin des nördlichen Überseequartiers verantworten Sie u.a. den Überseeboulevard. Ein Bericht im Hamburger Abendblatt titelte jüngst „Flaute für viele Händler in der HafenCity“ mit einem menschenleeren Aufmacherbild des Überseeboulevards. Sie haben sich geärgert. Warum? Für den Überseeboulevard und das nördliche Überseequartier stimmt das einfach nicht. Wir haben inzwischen erreicht, dass wir als das Herzstück der HafenCity tatsächlich den Treffpunkt bilden, der in der Mittagszeit, den frühen Abendstunden und am Wochenende gut bis hervorragend angenommen wird. Für eine weitere Frequentierung außerhalb dieser Zeiten sind wir u.a. auf die Fertigstellung des südlichen Überseequartiers angewiesen. 

Aber ist denn die Auslastung im Einzelhandel zufriedenstellend? Das nördliche Überseequartier ist im Erdgeschoss zu 86 Prozent vermietet und befindet sich damit im aktuellen Marktumfeld auf einem sehr guten Stand. Für die noch leerstehenden Flächen laufen momentan Verhandlungen mit Gastronomiekonzepten, Kosmetikunternehmen und weiteren potenziellen Mietern. Im Sumatrakontor ist nach zehn Jahren Laufzeit eine bedarfsgerechte Flächenvergrößerung ab 2020 geplant. Von einer hohen Fluktuation können wir zum Glück nicht sprechen. Im Gegenteil: Ein Großteil der Bestands-nutzer ist bereits seit mehreren Jahren am Standort ansässig – Marc&Daniel, Lieblingsplatz, Deutsche Bank, Dat Backhus, O2 und Rossmann gehören sogar schon seit Eröffnung des Boulevards dazu.

Wo soll die Reise hingehen? Während 2016 am Sonnabend noch 6.328 Menschen den Überseeboulevard passierten, sind es aktuell 10.244 Besucher und damit über die Hälfte mehr (+61,88 Prozent). Dies zieht wiederum weitere interessierte -Gastronomie- und Einzelhandelskonzepte auf den Boulevard. Für die Zukunft rechnen wir damit, dass sich dieser positive Trend fortsetzen wird – nicht zuletzt auch durch die Fertigstellung angrenzender Bauprojekte. Wolfgang Timpe

Die verrückten Zwei vom Quartier: Seit der Gründung vor zehn Jahren führen Dr. Claudia Weise und Gastronom Antonio „Toni“ Fabrizi als Vorstände die Werbegemeinschaft Überseeboulevard. Foto: Privat
Die verrückten Zwei vom Quartier: Seit der Gründung vor zehn Jahren
führen Dr. Claudia Weise und Gastronom Antonio „Toni“ Fabrizi als Vorstände die Werbegemeinschaft Überseeboulevard. Foto: Privat

VITA:
Dr. Claudia Weise  ist Quartiersmanagerin vom nördlichen Überseequartier und Bereichsleiterin für Center- und Quartiersmanagement der BNP Paribas Real Estate Property Management GmbH. 

Kommt mal vorbei!

Von Wolfgang Timpe

Das Leben ist widersprüchlich. Da -schreibt das Hamburger Abendblatt jüngst über die „Flaute für viele Händler in der HafenCity“, -schreibt Richtiges und verschweigt Gelungenes. Geschenkt. Fakt ist: Einzelhandel und Gewerbe haben es richtig schwer, die richtigen Konzepte am richtigen Standort zu finden. Fakt ist auch: Viele Ladenmieten sind zu hoch und die Branche sprüht nicht gerade vor innovativen Ideen.  
Andererseits ist es langweilig, die immergleiche HafenCity-Ignoranz zu hören, dass hier ja nix los sei und Neureiche den langweiligen Stadtteiltod mit falschen Läden sterben. Ach Leute, kommt doch einfach mal vorbei! Ob mittags zur Lunch-Rushhour von 14.000 Arbeitenden, samstags zum Langschläfer-flohmarkt mit Quartiersleben oder abends zum Dinner etwa im Bootshaus oder Kinfelts, zum Afterworkdrink in Boilerman Bar oder im Club 20457, oder zum Kino in die Astor-Lounge oder zu Vernissagen in vielen Galerien. Das läuft schon heute.
Und morgen? Kommt die Eckkneipenbar des Pierdrei-Hotels samt Hafenliebebühne mit Lesungen und Livemusik; eröffnen die digitalen Märchenwelten-Abenteuer. Was fehlt eigentlich? Endlich mehr echte Unterstützung für einen wachsen-den jungen Stadtteil. Meckern hilft nicht, sondern praktische Ideen. Eppendorf & Co. konnten über 100 Jahre wachsen, die HafenCity hingegen ist voll in der Pubertät. Hier gibt es Nachbarschaft, Internationalität und junge Familien im Miteinander. Einfach mal vorbeischauen, nicht aus der Ferne urteilen. Wolfgang Timpe lebt seit 2005 in der HafenCity. timpe@hafencityzeitung.com

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