Tesla Cybertruck: »Raumschiff mit Pritsche«

E-Lifestyle. Der Pick-up Tesla Cybertruck löst die US-amerikanischen Kult-Verbrenner-­Planwagen ab. Das eckige Tesla-Mobil feiert Edelstahl und nüchternes Design 

Mal schaut es freundlich und mal fies – aber seit sich das Auto von der Kutsche emanzipiert hat, formen die Scheinwerfer, der Kühler und die Stoßstange ein Gesicht. Klar, auch das ist der Mode unterworfen und hat sich zuletzt mit dem Aufkommen der Elektromobilität noch einmal dramatisch verändert. Aber selbst die neuesten Modelle von Nio oder Rivian und natürlich auch von Tesla haben halbwegs menschliche Züge. 
Foto oben. Das Design ist pure Provokation – und funktioniert in dieser Disziplin perfekt. Doch die Form ist auch der Produktion geschuldet, denn der Cybertruck wird nicht aus gebogenem Blech
gebaut, sondern aus gestanztem Edelstahl. © Tesla

HCZ-Mobilitätsexperte Thomas Geiger in Austin, Texas: Der Tesla Cybertruck hat weder Gesicht noch Augen. © Thomas Geiger

Doch seit Elon Musk bald fünf Jahre nach der Premiere im letzten November endlich mit der Auslieferung seines Cybertrucks begonnen hat, gilt diese Regel nicht mehr. Denn sein Pick-up bricht mit allen Design-Traditionen, hat weder Gesicht noch Augen und auch sonst kaum etwas, woran der Blick haften bleibt. Neben klassischen Pritschenwagen wie dem Ford F-150, der seit bald einem Jahrhundert die amerikanische Zulassungsstatistik dominiert und in der Tradition des Planwagens zum kollektiven US-Kulturgut geworden ist, wirkt er wie eine Erscheinung aus einer anderen Galaxie: Mars statt Michigan – selten war ein Name so passend wie beim Cybertruck. 

Kein Wunder also, dass der Wagen überall im Zentrum des Interesses ist und sich sofort Menschentrauben um ihn bilden, wenn er irgendwo auf einem Parkplatz steht – selbst in Austin, Texas, wo er bislang noch in homöopathischen Stückzahlen produziert wird und deshalb etwas häufiger zu sehen ist als im Rest der USA. Das macht den Wagen zur vielleicht spannendsten Neuheit des Jahres, und entsprechend groß ist die Neugier, endlich hinters Steuer zu kommen und sich selbst einen Eindruck zu machen. Zwar ist es schwer vorstellbar, dass sich Farmer, Rinderzüchter oder Handwerker für so ein Auto erwärmen können. Egal ob Arbeit, Sport oder Spiel – an der Reichweite soll’s nicht liegen. Zwar macht Tesla wie immer keine Angaben zur Batteriegröße. Aber schon das Basismodell hat einen Aktionsradius von 400 Kilometern, im besten Fall sind fast 550 drin, und wer auch dann noch nicht mit 250 kW Ladeleistung an den Supercharger will, der bekommt erstmals bei Tesla auch einen Range-Extender. Dann schnallen die US-Amerikaner einfach noch einen weiteren Akku auf die Ladefläche und legen noch mal rund 200 Kilometer drauf. 

Die Ladefläche bedient eher Freizeit- als Cowboy- und Handwerker-Ansprüche, geht auch als Glamping-Car durch. © Tesla

Der silberne Sonderling ist ein Exot auf den US-Straßen. Seine dreieckige Silhouette erinnert eher an Algebra als an Automobildesign und widersetzt sich allen Größenvergleichen. Denn mit seinen knapp 5,70 Metern ist er kleiner als seine klassischen Konkurrenten, die alle weit über die Sechs-Meter-Marke hinausragen. Und wo das Auge keinen Halt findet, fällt das Abschätzen schwer. Die Front, die senkrecht aufragt wie das Schild einer Planierraupe, macht es einem auch nicht eben leichter. 

Natürlich ist das Design pure Provokation – und funktioniert in dieser Disziplin perfekt. Doch die Form ist auch der Produktion geschuldet, denn der Cybertruck wird nicht aus gebogenem Blech gebaut, sondern aus gestanztem Edelstahl. Der ist rostfrei und muss deshalb nicht lackiert werden, was cool aussieht und zugleich einen extrem teuren Fertigungsschritt spart. Musk ist als Kostenkiller bekannt. Da Edelstahl sich jedoch nur schwer biegen lässt, ist der Cybertruck kantiger als jedes andere Auto – wie ein aus Karton gebasteltes Kinder-Auto. Das Design eckt an – im doppelten Sinn.  

So fremd der Cybertruck von außen wirkt, so typisch Tesla kommt der Innenraum daher: Nüchtern, kahl, fast steril ist die Kabine – stylish, aber unbehaglich. Immerhin ist der Cybertruck geräumig, und was ihm in der zweiten Reihe an Kopffreiheit fehlt, das macht das große Panoramadach wieder wett. Beim Fahren hat der Truck so seine Tücken. Klar, Leistung gibt es satt, und der Vortrieb ist fast explosiv. Schon das Basismodell soll trotz seiner bald drei Tonnen in 6,5 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigen, wenn es zu Preisen ab 60.990 Dollar in den Handel kommen wird; das Cyberbeast mit 845 PS und 99.990 Dollar Grundpreis an der Spitze der Modellpalette lässt mit 2,6 Sekunden auf 100 km/h Supersportwagen stehen. Wo Tesla sonst beim Wettrüsten mitmacht und zum Beispiel das Model S über 320 km/h schnell rennen lässt, wird auch der stärkste Cybertruck spätestens bei 210 km/h eingebremst. 

Die Kabine kommt nüchtern, fast steril daher – eckiges Lenkrad, Gas- und Bremspedal, Screen, sonst: nichts. © Tesla

Während er sich auf der Geraden als typischer Tesla erweist, muss man sich ans Kurvenfahren erst noch gewöhnen. Denn als wäre ein eckiges Lenkrad nicht schon eigenwillig genug, setzt Tesla hier auch noch auf eine Steer-by-Wire-Technologie ohne mechanische Verbindung zu den Rädern. Stattdessen lenkt eine Elektronik, die mit zunehmendem Einschlag auch noch die Übersetzung ändert. Und wenn dann auch noch die Hinterräder mitlenken, geht es dem angelernten Lenkgefühl vollkommen entgegen, und zumindest beim Rangieren und im langsamen Stadtverkehr legt man einen ungewöhnlich eckigen Fahrstil an den Tag. Deshalb dauert es ein bisschen, bis man im Cybertruck den Bogen raus hat. 

Der silberne Sonderling ist ein Exot auf den US-amerikanischen Downtown-Straßen und Highways. © Thomas Geiger

Ach ja, und dann ist da ja noch die Sache mit der Federung, bei der Tesla auf Luft statt Stahl setzt. Schließlich lässt sich mit einem Fingertipp die Bodenfreiheit um mehr als 40 Zentimeter anheben, damit der in zwei von drei Versionen mit Allradantrieb ausgestattete Cybertruck über Stock und Stein kraxeln oder durchs Wasser waten kann. Unser Test-Exemplar des Pritschenwagens lag so hart und unkommod gefedert auf der Straße, dass schon Schlaglöcher schmerzhaft waren und ein paar Temposchwellen im Parkhaus aus der Reise einen Ritt auf einem Wildpferd machen. Tja, Western war gestern, und selten war die Savanne so weit weg wie am Steuer dieses Raumschiffs mit Pritsche. Aber spätestens da fühlt man sich dann auch im Cybertruck wie John Wayne auf seinem Mustang. Thomas Geiger

www.tesla.com/de_de/­cybertruck

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