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Trauerfeier in der HafenCity: »Wir sind untröstlich!«

Mehr als 200 Menschen nahmen an der Kreuzung Überseeallee / Osakaallee an der Mahnwache für die am Montag, 30. Januar, tödlich verunglückte Radfahrerin aus der HafenCity teil

Es war eine bewegende Mahnwache und Trauerfeier mit über 200 Menschen, die am Samstag, 4. Februar, für die am Montag, 30. Januar, tödlich verunglückte 34-jährige Radfahrerin an der Unfallstelle, der Kreuzung Überseeallee / Osakaallee, stattfand. Zu Beginn gab es vom Veranstalter des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) sowie Radfahrer:innen aus der HafenCity einen stummen Protest, indem sie sich mit ihren Rädern auf die Kreuzung legten. „Wir sind zutiefst erschüttert”, sagte Thomas Lütke, stellvertretender Landesvorsitzender des ADFC Hamburg, „Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen, Freundinnen und Freunden des Opfers.“ Zum Gedenken an die Radfahrerin wurde ein „Ghostbike“, ein weißes Fahrrad mit Lilienblumenschmuck aufgestellt.
Foto oben: Pastor Frank Engelbrecht hielt bei der Mahnwache zur tödlich verunglückten Radfahrerin die Trauerrede: „Doch dann kam diese Kreuzung und sie mit ihrem Fahrrad unter die Räder eines Lkw und starb noch am Unfallort. Zu früh. Wir sind untröstlich.“ © www.citynewstv.de

Am Montag, 30. Januar, hatte am Nachmittag der Fahrer eines Lkws in der HafenCity die junge Mutter tödlich verletzt – beim Rechtsabbiegen von der Magdeburger Brücke, der Überseeallee, in die Osakaallee. Lütke: „Immer wieder sind es rechtsabbiegende Lkw-Fahrer, die Radfahrer:innen im Straßenverkehr töten“. Die Verkehrsführung sei an den allermeisten Kreuzungen Hamburgs alles anderes als sicher. „In diesem Fall schockiert uns der Tod der Radfahrerin auch deshalb besonders und macht uns auch wütend, weil Anwohner:innen die Verkehrsbehörde und die Polizei bereits genau auf diese gefährliche Kreuzung in der HafenCity hingewiesen und dort eine Verbesserung der Verkehrssicherheit eingefordert hatten.” Dies wurde jedoch von der Polizei mit der Begründung abgelehnt, dass es dort noch keine schweren Unfälle gegeben habe.

Die Mahnwache für die tödlich verunglückte Radfahrerin an der Kreuzung Überseeallee / Osakaallee veranstaltete der ADFC Hamburg. Ihr stellv. Vorsitzender Thomas Lütke: „In diesem Fall schockiert uns der Tod der Radfahrerin auch deshalb besonders und macht uns auch wütend, weil Anwohner:innen die Verkehrsbehörde und die Polizei bereits genau auf diese gefährliche Kreuzung in der HafenCity hingewiesen und dort eine Verbesserung der Verkehrssicherheit eingefordert hatten.“ © www.citynewstv.de
Pastor Frank Engelbrecht: „Wir müssen die Schönheit von gestern festhalten und auf noch unerklärliche Weise nach vorne kommen.“ © www.citynewstv.de

Nach den 15 Schweigeminuten der ADFC-Aktion und ihrer von Trauerstimmung geprägten Stille hielt Pastor Frank Engelbrecht von St. Katharinen für den Nachbarschaftsverein Netzwerk HafenCity e.V., dem er als Bürger auch angehört, eine bewegende und tröstende Trauerrede auf die Verstorbene wie für den Vater und das Kind sowie für die Angehörigen und die Menschen aus dem Stadtteil. „Ganz herzlichen Dank als erstes, dass so viele Menschen heute gekommen sind. Ich und wir alle sind wir überwältigt. Ich glaube, das es ein ganz wichtiges Zeichen an die Familie ist, für die ich hier auch sprechen darf und für den Nachbarschaftsverein Netzwerk HafenCity e.V., also für die Nachbarschaft, die Menschen, die hier wohnen und leben und arbeiten und täglich vorbeikommen. Und viele waren auch an dem Tag hier in der Nähe, als es passiert ist. Bei einem so schrecklichen Ereignis fängt man gleich an zu überlegen: Was muss passieren? Was ist der nächste Schritt? Was ist mit dem Verkehr? Darüber müssen wir auch nachdenken, darüber müssen wir uns sehr ernsthaft unterhalten.
Doch wir haben uns gemeinsam darauf geeinigt, in Notzeiten hier am Ort zu bleiben und erst einmal die Lücke und die Hilflosigkeit anzunehmen und uns gegenseitig zu stärken, um auch gegen das Gewicht dieses Ereignisses einander aufzurichten – und sei es unter Tränen – das Fest des Lebens zu feiern. Und deshalb kommen wir heute vor allem zusammen und teilen die Untröstlichkeit, die seit Montag ihre Kreise zieht, hier im Stadtteil zur Familie, das heißt in Hamburg und weit darüber hinaus. Wir sind untröstlich über den Tod der Frau. Sie hat sich, 34 Jahre, am Montag aufgemacht, um ihr Kind aus der Kita abzuholen – mit dem Fahrrad. So wie sie das immer getan hat. Und um ihn in ihre Arme zu schließen und mitzunehmen nach Hause, zu ihrem Papa und zu seinen geliebten Hotwheel-Autos. Doch dann kam diese Kreuzung und sie mit ihrem Fahrrad unter die Räder eines Lkw und starb noch am Unfallort. Zu früh. Wir sind untröstlich.“

Und die wärmende Stimme von Pastor Engelbrecht nimmt uns mit auf eine so traurige und wie er sie erzählt, doch auch tröstende Geschichte. „Wir sind untröstlich wie ihr Mann. 2019 haben Sie geheiratet. Gerade erst. Sie sind gerade erst in die neue Wohnung in der HafenCity gezogen. Wir sind untröstlich für ihren Mann. Sie war die Liebe seines Lebens. Wie soll das gehen ohne sie? Der Junge, ihr Schatz, hat an diesem Montag gewartet bis zur Kita-Schließung. Vergeblich. Der Vater kommt und holt ihn ab und sie gehen nach Hause. Und als er ihm sagte, dass seine Mutter nicht mehr nach Hause kommt, dass sie bei den Sternen sei, antwortete das Kind: ,Dann kann ich sie aber auch nicht mehr umarmen.‘“ Unfassbar. „Und doch“, so Engelbrecht, „am 14. Februar feiert der Junge seinen 4. Geburtstag. Ein Ausrufezeichen des Lebens – im Angesicht der Trauer.“

Und, so ging es vielen wie Pastor Engelbrecht: „Wir sind jedoch auch untröstlich für den Fahrer des Lkw. Eine Mutter aus der Katharinen-Schule, die vorbeigefahren kam, als das hier an der Kreuzung passiert ist. Und sie hat diesen Mann in Tränen aufgelöst auf der Straße sitzen sehen. Wie kann er je seines Lebens wieder froh sein? Wir sind untröstlich. Aber wir wissen auch: Die Trauer und der Schmerz gewinnen ihre Kraft daraus, dass sie Schatten des Lichts sind, dass die Verstorbene in diese Welt getragen hat.“ Und Pastor Engelbrecht von dem Gespräch mit dem Schwiegervater: „Lasst uns deshalb überlegen: Was wäre ihr Wunsch, wenn sie uns noch eine Botschaft senden könnte aus dem Reich der Sterne. Ich stelle mir vor, sie würde uns inniglich bitten, dass wir ihr Vermächtnis weitertragen, das diese Frau ganz unprätentiös erfüllt und wie selbstverständlich gelebt hat. Sie war in diese Welt gesetzt, und hat herzlich, fröhlich und mit Innigkeit Leben in die Herzen so vieler eingetragen. Das wäre ihr Wunsch,  dass wir die Herzlichkeit und Innigkeit, die Fröhlichkeit und Lebendigkeit, die sie gleichsam gestern noch zu stiften vermochte, uns zur Aufgabe nehmen und sie weitertragen und weiter teilen.“ Trauernde Hoffnung.

Der Wunsch des Schwiegervaters der Verstorbenen, von der Pastor Engelbrecht erzählte: „Wir sollten ihre Herzlichkeit und Innigkeit, ihre Fröhlichkeit und Lebendigkeit, die sie gleichsam gestern noch zu stiften vermochte, uns zur Aufgabe nehmen und sie weitertragen und weiter teilen.“ © www.citynewstv.de

Die Bestürzung über den tödlichen Unfall der Radfahrerin aus dem eigenen Quartier, steckt auch den Teilnehmern der Trauerfeier immer noch in den Knochen – und sind, wie Andreas Kleinau, dankbar für die Worte von Frank Engelbrecht. Der HafenCity-Hamburg-Chef, der selbst fast täglich die Kreuzung mit dem Fahrrad passieren muss: „Pastor Frank Engelbrecht hat es mit seiner Rede und mit dem zentralen Begriff ,Untröstlichkeit’ treffend benannt, wie auch ich mich fühle: trostlos. Dem kann ich mich nur anschließen. Wir sind auf Trost aus und suchen nach Erklärungen. Auch für meine Kolleginnen und Kollegen hier direkt ein paar Meter weiter von der Unfallstelle entfernt, die auch zum Teil direkte Zeugen waren. Das Wichtigste ist, dass wir jetzt erst mal intensiv mit der Polizei und der Verkehrsbehörde daran sind, herauszufinden, wie das passieren konnte, was sich als schwierig darstellt. Dann werden wir umgehend schauen, ob – wenn es geboten erscheint – kurzfristig wirksame Maßnahmen geben kann, so einen furchtbaren Unfall möglichst zu vermeiden.“

© Wolfgang Timpe

Und für Dirk Hünerbein, der als Projektentwicklungschef die Großbaustelle Westfield Hamburg-Überseequartier managt und die u.a. direkt an den Unfallort grenzt: „Es ist so unsagbar traurig. Für die Familie und die Hinterbliebenen der Verstorbenen und auch für mich als Mensch und dreifacher Familienvater. Es ist schlimm genug, dass es eine Fahrradfahrerin getroffen hat. Wir alle wissen, dass Zweiräder – und das sage ich als leidenschaftlicher Motorradfahrer – und insbesondere die Fahrräder und E-Bikes zur Verkehrswende dazugehören. Wir alle müssen noch intensiver daran arbeiten, dass sich alle Mobilitätsträger in Zukunft gut miteinander vertragen und wir versuchen werden, dass wir solche Schicksale wie das dieser jungen 34-jährigen Mutter alle gemeinschaftlich vermeiden können. Wie werden im Westfield Hamburg-Überseequartier 3.500 Stellplätze für Fahrräder und weitere für andere Mobilitätsträger etablieren. Das heißt auch, dass wir daran glauben, dass diese zweirädrigen Funktionsträger wesentlich dazu beitragen werden, dass wir die Mobilitätswende hinbekommen. Und wahr ist jedoch auch, dass wir Bestandstraßen haben und das wir dringend überdenken müssen, wie wir das mit den anderen Verkehrsträgern harmonisieren können. Ich persönlich und wir als Westfield Hamburg-Überseequartier werden gerne intensiv daran mitarbeiten.“ 

© Wolfgang Timpe

Auch die Politik, die zur Mahnwache gekommen ist, kann ihre Stimmung nur schwer formulieren, wie der FDP-Bezirksabgeordnete Jimmy Blum von Hamburg-Mitte, der in der HafenCity wohnt: „Ich bin unsagbar erschüttert und betroffen. Mich nimmt das Ganze total mit, sonst wäre ich heute auch nicht hier. Man liest ja oft von schweren Unfällen in der Zeitung und das nimmt dann einen schon extrem mit. Doch wenn das direkt vor der eigenen Haustür passiert, im eigenen Viertel, ist das natürlich noch viel, viel, viel trauriger. Mir fehlen die Worte. Und um so mehr, nachdem wir hier in der Trauerrede des Pastors Engelbrecht etwas über die familiäre Situation erfahren haben. Es ist einfach unsagbar schlimm.“ Und Farid Müller, Grünen-Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft und als gewählter Vertreter von Hamburg-Mitte ständig in der HafenCity unterwegs: „Ich empfinde erst einmal eine große Leere. Gerade als der Pastor eben erzählte, dass die Mutter auf dem Weg war, ihr Kind wie immer aus der Kita abzuholen. Es ist unglaublich tragisch. Da muss man erst einmal schlucken und in sich gehen. Danach denkt man natürlich: Was war da jetzt genau los? Wie ist das passiert? Wir wissen leider noch nicht genau, was bzw. wie es passiert ist. Sobald wir das erfahren, werden wir die Schlussfolgerungen ziehen und das Notwendige mit veranlassen. Ich bin der Überzeugung, dass man sich diesen ganzen Bereich hier an der Kreuzung und der Magdeburger Brücke noch einmal genau angucken muss. Ich verstehe die ungeheuer schmale Radspur und die zwei Fahrzeugspuren so erst einmal überhaupt nicht. Dieser tödliche Unfall der jungen Mutter ist so schrecklich, dass er ein Zeichen für die Verkehrspolitiker und Experten sein muss, hier genau zu schauen, wie wir hier mit dem Verkehr eigentlich künftig umgehen. Der wird ja mit der Eröffnung des Überseequartiers nicht weniger.“

Frank Engelbrecht überreichte im Namen des Netzwerks HafenCity e.V. und von St. Katharinen einen kleinen Bronze-Engel an die Familie – das Wesen aus dem Reich der Sterne für den Vater und das Kind – und auch einen Engel an Andreas Kleinau für die HafenCity Hamburg GmbH, der zusagte, die Figur in Kürze an einem Geländer an der Unfallstelle anzubringen. Zum bleibenden Gedenken. Zum Abschluss stimmte Frank Engelbrecht mit der Trauergemeinde an der Kreuzung Überseeallee / Osakaallee den Beatles-Song „Yesterday“ an, dessen Text er leicht auf das traurige Ereignis angepasst hatte. Das Lied und seine hinführenden Worte vor dem Gesang entließ alle Anwesenden in ihre eigenen Trauer- und Jetztzeitgedanken. „Ich habe euch kein Kirchenlied mitgebracht“, sagte er, „denn mit der Kirche hatte es die Familie nicht so. Es ist ,Yesterday’ von den Beatles. Es erzählt davon, dass damals noch alles so schön war und es schade ist, dass es nicht mehr so sein kann. Doch wir müssen die Schönheit von gestern festhalten und auf noch unerklärliche Weise nach vorne kommen.“ Ohne Worte. Wolfgang Timpe

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