Musik. Die Karriere der Singer-Songwriterin Zoe Wees hält nach ihrem Welterfolg mit „Control“ weiter an. Mit der HCZ-Autorin Dagmar Leischow sprach sie offen über Social-Media-Stress, Therapie-Erfolge und Einsamkeit
Seitdem die Sängerin Zoe Wees 2020 ihre erste Single „Control“, die von ihrer Rolando-Epilepsie-Erkrankung erzählt, veröffentlicht hat, ist sie ständig unterwegs – im In- und Ausland. In Berlin findet die Hamburgerin schließlich Zeit für ein Videointerview. Was sofort auffällt: Auf ihre bunten Zöpfe, eigentlich ihr Markenzeichen, hat die 21-Jährige verzichtet. Sie wirkt unprätentiös. Lange Monologe zu halten, das entspricht nicht ihrem Naturell. Theoretisch könnte sie die Lieder ihres Debütalbums „Therapy“, das Dark Pop mit souligen Balladen vereinigt, sogar für sich sprechen lassen. Denn in ihren Songs kehrt sie ihr Innerstes nach außen.
Foto oben: Dark-Pop-Soul-Künstlerin Zoe Wees: „Mein Zuhause ist nicht unbedingt ein Ort. Mir geben eher Menschen das Gefühl, zu Hause zu sein. Diese Personen finde ich im Moment vor allem in Berlin.“ © Lillie Eiger
Zoe, als Musikerin reisen Sie häufig. Wie viel Zeit verbringen Sie noch in Ihrer Heimatstadt
Hamburg? Ich bin nicht oft dort, habe aber meine Wohnung in Hamburg behalten. Mein Zuhause ist nicht unbedingt ein Ort. Mir geben eher Menschen das Gefühl, zu Hause zu sein. Diese Personen finde ich im Moment vor allem in Berlin. Trotzdem träume ich nach wie vor davon, irgendwann nach London zu ziehen. Ich würde gern ausprobieren, wie es ist, in der englischen Hauptstadt zu wohnen.
In greifbare Nähe ist dieser Traum dank Ihres Hits „Control“ gerückt, der Ihnen die Tür zum Erfolg geöffnet hat. Was bedeutet Ihnen dieses Stück heute? Sehr viel. Es hat mir meine Stärken und Schwächen gezeigt. Außerdem hat es anderen Leuten Halt gegeben. „Control“ war der erste Song, den ich jemals geschrieben habe. Damals war ich richtig jung. Mit einem Lied Erfolg zu haben, das schien für mich komplett weit weg zu sein. Dennoch habe ich mir die Musiker:innen, die ich geliebt habe, angeguckt und mir gesagt: Eines Tages will ich so sein wie sie.
Was haben Sie empfunden, als Sie „Control“ zum ersten Mal im Radio gehört haben? Das war großartig. Es hat mich total motiviert und mir auf jeden Fall einen Push gegeben.
Gibt es bis heute Situationen, in denen Sie Angst haben, die Kontrolle zu verlieren? Natürlich. Das gehört zu meinem Leben dazu, es wird immer ein Teil von mir bleiben. Inzwischen habe ich mich damit arrangiert. Ich weiß, dass mir meine Therapeutin stets zur Seite steht – egal, wann und in welcher Situation. Zudem habe ich viel gelernt, deshalb komme ich mittlerweile auch allein gut klar.
Warum haben Sie sich entschieden, Gespräche mit Ihrer Therapeutin online zu stellen? Es ist extrem schwer, eine Therapeutin oder einen Therapeuten zu finden, der zu einem passt und nicht zu teuer ist. Wenn die Krankenkasse die Kosten für die Therapie übernimmt, geht man meistens zu der Therapeutin oder dem Therapeuten, wo man am schnellsten einen Termin kriegt. Nur stimmt dabei oft der Vibe nicht. Ich hoffe, dass ich mit meinen Videos diejenigen, die das Gleiche wie ich durchmachen, motivieren kann, sich ebenfalls Hilfe zu suchen. Vielleicht lernen sie etwas aus meinen Gesprächen mit meiner Therapeutin. Weil sie sehen, wie ich mich meinen psychischen Problemen stelle.
Haben Sie lange suchen müssen, bis Sie die passende Therapeutin gefunden haben? Vor meiner jetzigen Therapeutin hatte ich schon ein paar andere Therapeuten. Die Suche nach einer passenden Therapeutin oder einem Therapeuten ist ziemlich schwierig. Wenn es zwischen Therapeut:in und Patient nicht klickt, bringt eine Therapie überhaupt nichts.
Hat Ihnen Ihre Therapeutin beigebracht, wie sehr Sie einen Safe Space brauchen? Ja. Ich habe ein Medaillon, in dem ein Foto meiner verstorbenen Uroma ist. Das habe ich immer bei mir. Wenn ich es in die Hand nehme, fühle mich sofort besser.
Sie hatten zeitweilig Panikattacken. Haben Sie dadurch erkannt, auf wen Sie sich verlassen können? Panikattacken packen einen in unpassenden Momenten, zum Beispiel auf einer Party. Ich habe begriffen: Die Leute, die mit mir die Party verlassen haben, weil ich Angst hatte, sind meine wahren Freund:innen. Wer einfach weitergefeiert hat, dem war ich nicht wirklich wichtig.
Ist Ihr Song „Hold Me“ so einer Erfahrung entsprungen? Nein. „Hold Me“ habe ich in einer Zeit geschrieben, in der ich bei vielen Festivals gespielt habe. Während meines Auftritts hatte ich ganz viele Menschen um mich. Doch wenn ich von der Bühne gegangen bin, war auf einmal keiner mehr da. Ich habe mich ein bisschen einsam gefühlt, in mir war bloß Leere.
Sie offenbaren in diesem Lied, das kleine Mädchen mit den großen Träumen sei weg. Ich habe mir halt einiges mehr von dem Leben versprochen, das ich jetzt führe. Ein krasses High. Doch die Realität sieht anders aus: Manchmal bin ich trauriger als früher.
Heißt das, Ihr Erfolg hat Sie gar nicht so glücklich gemacht? Er hat mir sehr viele Sorgen genommen. Was mich total erfüllt: Ich sehe, was anderen Leuten meine Songs bedeuten. Nichtsdestotrotz war ich genauso glücklich, bevor ich als Sängerin durchgestartet bin. Teilweise vielleicht sogar noch glücklicher.
In „Sorry for the Drama“ poppt wieder das kleine Mädchen auf. Entschuldigen Sie sich mit diesem Titel bei Ihrer Mutter? Genau. Ich wusste als Kind nicht unbedingt zu schätzen, was ich an meiner Mama und unserem Leben hatte. In der Schule wollte ich die Coole sein. Ich wollte das haben, was die Rich Kids hatten. Haben, haben, haben – darum hat sich bei mir alles gedreht. Dabei hat meine Mama es immer geschafft, irgendwas für mich möglich zu machen. Sie hat mich nie enttäuscht.
Ihre Mutter war alleinerziehend. Waren Sie eine eingeschworene Gemeinschaft? Es hat sich nie so angefühlt, als ob ich nur meine Mama gehabt hätte. Neben ihr gab es meine Oma, meinen Opa, meine Tante. Mit diesen Menschen spreche ich jeden Tag. Ich hatte also immer eine Familie hinter mir.
Ihren Vater haben Sie mit 16 Jahren nur ein einziges Mal gesehen. War es schwierig für Sie, davon in dem Lied „Daddy’s Eyes“ zu erzählen? Ich habe nicht lange überlegt, sondern die Geschichte einfach aufgeschrieben. Ehrlich gesagt bin ich gar nicht davon ausgegangen, dass dieser Song jemals herauskommen würde. Aber es hat gepasst und war letztlich einfach voll okay für mich.
„21 Candles“ klingt wie eine Fortsetzung von „Daddy’s Eyes“. Kann man so sagen. Dieser Song handelt auch von meinem Dad, er dreht sich um das Thema Enttäuschung. Gerade an Feiertagen wünscht man sich ja eine komplette Familie. Deswegen vermisse ich meinen Dad an Geburtstagen oder an Weihnachten schon.
Trotzdem haben Sie „Don’t Give Up“ zu Ihrem Lebensmotto gemacht, oder? Das steckt durchaus in diesem Song. Ich denke viel an die Sätze: Einfach machen, nicht aufgeben. Du hast nichts zu verlieren. Egal, was kommt, du kannst wieder aufstehen.
Ein weiterer Empowerment-Song ist „Girls Like Us“. Wollten Sie sich mit diesem Stück selber Kraft geben? Ursprünglich habe ich diese Nummer für mich geschrieben. Doch als sie herausgekommen ist, habe ich gemerkt, wie wichtig sie für junge Mädchen ist. Besonders Social Media bringen uns doch dazu, uns mit anderen zu vergleichen. Das kann gefährlich werden. Vor allem für diejenigen, die keine starke Persönlichkeit haben.
Wie gehen Sie heute mit den sozialen Medien um? Social Media haben für mich keinen Wert. Ich bin zwar viel auf TikTok, aber bloß zum Entertainment. Heute grübele ich nicht mehr: Die ist voll schön, sie hat sich ihre Nase machen lassen. Ich will auch so hübsch sein. Mit 14 haben mich solche Äußerlichkeiten allerdings intensiv beschäftigt.
Sie öffnen sich in Ihren Liedern extrem. Heißt Ihr Album nicht ohne Grund „Therapy“? Songschreiben ist für mich Therapie. Ich habe einfach alles aufgeschrieben und auf diese Weise verarbeitet. Vorher hatte ich nie gecheckt, wie viel ich eigentlich durchgemacht hatte. Durch mein Album habe ich mich besser kennengelernt. Ich habe realisiert, dass ich stärker bin, als ich dachte. Das war für mich eine wesentliche Erfahrung.
Wären Sie auch Musikerin geworden, wenn es in Ihrer Kindheit keine Turbulenzen gegeben hätte? Ich glaube nicht. Wenn alles gut gewesen wäre, hätte ich nichts gehabt, worüber ich hätte schreiben können. „Control“ ist so erfolgreich geworden, weil dieser Song so real ist.
Mit Ihren authentischen Liedern gastierten Sie in den US-Fernsehshows von James Corden, Jimmy Fallon oder Jimmy Kimmel. Wie war das? Ich war völlig überrascht, als diese Einladungen kamen. Als deutsche Künstlerin in den USA auftreten zu dürfen, ist nämlich nicht selbstverständlich. Das war eine wunderschöne Erfahrung für mich. Interview: Dagmar Leischow
Info Zoe Wees tritt am Sonntag, 24. März 2024, 20 Uhr, im Bahnhof Pauli auf. Das Konzert ist zwar schon ausverkauft, doch Chancen auf Resttickets hat man noch direkt an der Abendkasse. Weitere Informationen unter: www.semmel.de