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»Die Stadt soll zurückkaufen!«

Überseequartier. Die Kreativoase Mundhalle eG in den alten Cruise-Center-Containern am Westfield Hamburg-Überseequartier steht vor dem Aus. Zusammen mit der Stadt konnte zuletzt trotz intensiver Gespräche und Suche kein neuer Ort gefunden werden. Dabei gäbe es für die -Mundhalle spannende Orte wie die Zinnwerke Wilhelmsburg oder das Kraftwerk Bille

© Catrin-Anja Eichinger

„So können wir nicht arbeiten!“ Mit diesem Appell und der Forderung nach einem dringend benötigten Ort zum Unterkommen wendet sich die Mundhalle eG im Januar an die Stadt Hamburg, um ihre Genossenschaft vor dem drohenden Aus zu retten. Mit ihrem Zusammenschluss aus 69 nutzenden Mitglieder:innen aus den Bereichen Kunst und Handwerk steht die Mundhalle eG für einen Ort des kreativen Austausches und des gemeinschaftlichen Arbeitens. Entstanden im Jahr 2018, als sich eine kleine Gruppe Kreativschaffender mithilfe eines Zwischennutzungsvertrages in einer leer stehenden Halle in Rothenburgsort zusammenfand, wuchs die Mundhalle binnen kurzer Zeit zu einer großen Gemeinschaft aus Künstler:innen, Gewerbetreibenden und Handwerker:innen an. Nach dem Ende dieser Zwischennutzung in Rothenburgsort zog es die Mundhalle in die HafenCity, wo die Genossenschaft seit nunmehr zwei Jahren in dem ehemaligen Cruise Center Terminal im Überseequartier ihre große künstlerische und handwerkliche Vielfalt entfaltet. 
Foto oben: Die vier Vorstandsmitglieder der Mundhalle eG (von links): Daniel Pietschmann, Mirjam Walter, Merlin Reichart und Anna Armann. Im Hintergrund zählt der Countdown bis zum endgültigen Auszug der Mundhalle aus dem Cruise Center Terminal im Überseequartier unerbittlich herunter. © Catrin-Anja Eichinger

Die kleinteilig parzellierte Halle gliedert sich in eine Vielzahl individuell gestalteter Ateliers und Werkstätten, die leicht erkennen lassen, dass hier viele kreative Köpfe aufeinandertreffen. Die Mundhalle bietet ihnen dabei einen Ort für Austausch, Synergien und gegenseitige Inspiration. Seite an Seite arbeiten hier Kreativschaffende der verschiedensten Gewerbe: Tapeten auf Maßanfertigung, Bühnenbild, Fotografie und Grafikdesign finden in der Mundhalle ebenso Platz wie der Bau von Booten, Fahrrädern oder Surfbrettern oder eine kleine Kaffeerösterei. Die kleinen Parzellen sind offen gestaltet, sodass der kreative Austauschprozess unter den einzelnen Mitglieder:innen gefördert und gestärkt wird. „Die Mundhalle schafft einen ganz besonderen Ort, an dem es eine hohe künstlerische Diversität gibt. Die Gemeinschaft von verschiedenen Leuten aus der Kunst und dem Handwerk zeichnet uns aus“, hebt Katharina Held, Assistenz der Geschäftsführung der Genossenschaft, die Besonderheit der Mundhalle hervor. 

Protestaktion für den Erhalt der Mundhalle und zur Ermunterung der Stadt, einen ­neuen geeigneten Standort für sie zu finden: Mitglieder:innen und Unterstützer:innen der Mundhalle stehen am 19. Januar 2023 hinter der Genossenschaft und setzen ein gemeinsames Zeichen in Form einer Menschenkette. Auf den Rücken der Teilnehmenden kleben leuchtend gelbe Sticker mit dem Appell: „So können wir nicht arbeiten“. © Kim Katarina Klocke

Doch diese Gemeinschaft steht derzeit vor dem Aus. Grund dafür ist das nahende Ende des aktuellen Zwischennutzungsvertrags, den die Mundhalle eG für diesen Standort im Überseequartier geschlossen hat. Am 28. Februar endet der Vertrag – wie von Beginn an vorgesehen wegen des neu zu bauenden Innenstadt-Kreuzfahrtterminals –, und die einzigartig gestaltete Kreativoase in der HafenCity schließt ihre Tore. Trotz eines intensiven Austausches mit der Stadt ist bisher noch kein neuer Ort gefunden. Daher laufen derzeit noch Gespräche mit dem Finanzsenator der Stadt, Andreas Dressel, der einige durch die Mundhalle vorgeschlagene Orte prüft. Trotzdem zählt der Countdown bis zum Auszug Ende Februar, der in diesen Tagen in den Räumlichkeiten der Mundhalle eG auf die Wand projiziert wird, kontinuierlich und unerbittlich weiter runter. Sekunden, Minuten, Stunden und Tage verstreichen, während neue Räumlichkeiten noch immer nicht gefunden sind. 

»So können wir nicht arbeiten!« lautet der Appell, mit dem sich die Mundhalle eG in einem Pressetermin vor Ort an die Stadt wendet. Die Forderung: ein permanenter Arbeitsort, den die Mitglieder:innen der Mundhalle eG mit einer gemeinwohlorientierten, nachhaltigen und nachbarschaftlichen Ausrichtung eigenverant­wortlich bespielen können.

Trotzdem geben die Kreativschaffenden die Hoffnung nicht auf und mobilisieren jetzt noch einmal alle Kanäle, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen. „Zu unserem Pressetermin haben wir alle Interessierten zu uns in die Mundhalle eingeladen, damit alle sehen und verstehen können, was wir uns hier aufgebaut haben und was in unseren Räumlichkeiten passiert. Die Stadt soll sehen, wie akut unsere Situation eigentlich ist und dass jetzt der Zeitpunkt wäre, etwas zu tun“, erklärt Katharina Held den Hintergrund dieses öffentlichen Aufrufs. Bevor sich der Vorstand der Mundhalle mit einer Rede an die Öffentlichkeit wendet, setzen die Mitglieder:innen und Unterstützer:innen der Mundhalle zunächst ein stummes Zeichen. Solidarisch formen sie eine Menschenkette vor dem Cruise Center Terminal im Überseequartier – vor ihrem Ort, dem die umliegenden Baustellen im Überseequartier in den letzten Monaten und Jahren immer bedrohlicher näher rückten, bis er dem Entwicklungsdruck der HafenCity nun schlussendlich nachgeben und weichen muss. Passend zur Aktion steht die Januar-Sonne genau richtig, um die neongelben Aufkleber auf den Rücken der vielen Unterstützer:innen der Mundhalle zu erleuchten und gekonnt in Szene zu setzen. „So können wir nicht arbeiten“ lautet ihre Botschaft, die sie bei diesem öffentlichen Pressetermin in die Stadt tragen wollen. 

Katharina Held, Assistenz der Geschäftsführung der Mundhalle eG: „Das Worst-Case-Szenario wäre, dass wir nicht rechtzeitig einen neuen Ort für uns finden und uns auflösen. Für die ­Kreativschaffenden wäre das ein großer Verlust, weil sich aus der Gemeinschaft der Mund­halle so viele synergetische Effekte ergeben, die den kreativen Austausch sowie die ­gegenseitige Inspiration fördern.“ © Fotos (2): Catrin-Anja Eichinger

Mit der Gründung einer Genossenschaft verfolgt die Mundhalle eG seit 2020 das Ziel, günstigen, innerstädtisch angebundenen und vor allem langfristig verfügbaren Arbeitsraum zu ermöglichen. Hierfür beabsichtigen die Mitglieder:innen, gemeinsam eine Immobilie zu kaufen oder einen Pachtvertrag abzuschließen, sodass die Miete für die einzelnen Nutzenden schließlich von den Preisentwicklungen des Marktes unabhängig sind. Dafür braucht es jedoch vor allem eins: eine geeignete Immobilie zu günstigen Konditionen. In Hamburg ist dies leichter gesagt als getan. „Wir haben intensiv nach einem permanenten Standort für die Mundhalle gesucht. Aber wir merken immer wieder, dass uns der Immobilienmarkt mit seinen hohen Preisen und den vielen zu Spekulationszwecken zurückgehaltenen Objekten kategorisch ausschließt. Wir müssen zum wiederholten Male einen Ausweichort finden, um das Aus unserer Genossenschaft abzuwenden“, richtet sich Merlin Reichart, Vorstandsmitglied der Mundhalle eG, mit seiner Rede an die Öffentlichkeit und weist auf die vielen Hürden für Hamburgs Kreativschaffende und Selbstständige hin. „Als Selbstständige konkurrieren wir auf dem freien Markt um Aufmerksamkeit, Aufträge, Ausstellungen, Fördermittel und vor allem um Arbeitsräume. Letztere sind in Hamburg extreme Mangelware und entweder viel zu teuer und/oder nur temporär verfügbar, ungeeignet, nicht innerstädtisch angebunden und oft in unterirdisch schlechtem Zustand.“ 

Mundhalle-Vorstandsmitglied Merlin Reichart macht in seiner Rede auf die akute Notlage der Mundhalle aufmerksam und appelliert an die Stadt: „So können wir nicht arbeiten!“ © Catrin-Anja Eichinger

Dabei besitzt Hamburg so viel Potenzial, um diese dringend benötigten Räume zu schaffen. So würden die vielen ehemaligen leer stehenden Industrie- und Gewerbegebäude ausreichend Platz für neue Produktions- und Kulturorte bieten. „Was ist mit dem alten Postgelände am Kaltenkirchener Platz, was ist mit den Zinnwerken in Wilhelmsburg, was ist mit dem Kraftwerk Bille? Da sollte die Politik eingreifen und auch mal Objekte zurückkaufen – denn so können wir nicht arbeiten!“, fordert Merlin Reichart und erhält prompt Zuspruch in Form von tosendem Beifall. „In den letzten 20 Jahren hat die Stadt einen unfassbar großen Teil an stadteigenen Flächen und Immobilien an internationales Großkapital verkauft, dessen Profite sicher nicht der Stadtgesellschaft zugute kommen. Diese Perlen, dieser Bestand wird meistens abgerissen und profitmaximierend neu bebaut, obwohl die Objekte erstklassig umgenutzt werden könnten. Das wäre nicht nur nachhaltiger, sondern auch kulturell viel wertvoller.“ 

Für die Mundhalle gilt es nun, zum wiederholten Male einen Ausweichort zu finden, um ein Auseinanderbrechen der Gemeinschaft abzuwenden. Das sollte auch im gesamtstädtischen Interesse sein – schließlich tragen Initiativen wie die Mundhalle mit ihren nachbarschaftlichen Aktionen und Veranstaltungen wie zum Beispiel Workshops, Basaren, Ausstellungen und Festen zur kulturellen Bereicherung der Gesamtstadt bei und bereichern insbesondere die umliegenden Quartiere. „Deshalb fordern wir die Stadt auf, selbst organisierte Initiativen, die zum kulturellen und gewerblichen Leben in Hamburg beitragen, mit der nötigen Startenergie und vor allem mit Immobilien und Flächen zu versorgen, die sie permanent und selbstbestimmt betreiben können“, appelliert Vorstandsmitglied Merlin Reichart. Die Vision der Mundhalle ist dabei größer, als lediglich einen gesicherten Arbeitsraum zu haben. „Wir verfolgen eine nutzer:innengetragene Lösung mit einer gemeinwohlorientierten, nachhaltigen und nachbarschaftlichen Ausrichtung.“ Damit eine solche Vision langfristig geplant und umgesetzt werden kann, benötigt es permanente Strukturen in Form von guten Werkstätten, in denen sich Arbeitssicherheit umsetzen lässt – helle und vor allem beheizbare Ateliers und Studios, Lagermöglichkeiten, ruhige Büroplätze, funktionierende Sanitäranlagen, großzügige Gemeinschaftsräume und Außenflächen. „Wir wollen einen Ort in, für und mit Hamburg schaffen. Wir wollen einen Ort schaffen zur Produktion, für Austausch und Innovation, für Ausstellungen, für Bildung und für Gemeinschaft. Alles ist möglich, aber das schaffen wir nicht allein. Wir brauchen jetzt einen Ort, wir brauchen jetzt euer Engagement“, schließt der Vorstand der Mundhalle eG seine Forderungen an die Stadt. Kim Katarina Klocke

www.mundhalle.de

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