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Ein Ureinwohner erzählt: »Treffpunkt war der Kiosk«

HafenCity-Biografie Prof. Helmut Gärtner lebt seit 16 Jahren am Kaiserkai in der HafenCity. Der emeritierte Umweltpädagoge zieht positive Bilanz – mit klarer Kante

Sechzehn Jahre wohnen am Kaiserkai: Erinnerungen und Gedanken eines „Ureinwohners“.
Foto oben: HafenCity-Ureinwohner Helmut Gärtner: »Ein überraschendes Erlebnis bot die Vielfalt der Natur – und dies trotz massiver Bauvorhaben, zunehmender Betonisierung und Versiegelung der Fläche. Frühzeitiges Setzen von resistenten Zuchtbäumen führte zur Kleinklimaverbesserung und zur Ansiedlung von Insekten und Vögeln. © Catrin-Anja Eichinger

Grundüberlegungen:

Der Entschluss vor 16 Jahren, an den Kaiserkai zu ziehen, bedurfte damals einer sehr sorgfältigen, aber auch spannenden Abwägung. Zum einen die Neugier, in ein völlig neuartiges Wohnquartier zu ziehen mit all seinen architektonischen Innovationen und Blickrichtungen: Schiffsverkehr, zentrale Lage, Elbblick und die Möglichkeit neuer, ebenso interessierter Bekanntschaften. Zum anderen die Notwendigkeit, es auch finanziell tragen zu können. Das genossenschaftliche Wohnen war hier die ideale Lösung, die auch zu sozialem Miteinander führte. Dieser Abwägungsprozess ging überraschend schnell vonstatten, die Attraktivität für das Neue war einfach zu groß. Und natürlich letztendlich die fußläufige Nähe zur Stadt und zu unserem geliebten Verein, dem FC St. Pauli! 

Erste Eindrücke und Pionierleben:

Diese waren von zahlreichen Überraschungen geprägt. Der Einzug in die damals wenig fertigen Wohnungen erfolgte meistens über Sandberge und andere Hindernisse vor der Eingangstür. Bauverkehr und Baulärm waren nicht zu überhören und nervten erheblich. Jedoch die stetig neu entstehenden Gebäude gegenüber und entlang der Straße bis hin zum Bau der „Elphi“, das Wachsen des Stadtteils zu erleben, war schon einzigartig. Geräusche des Schiffsverkehrs, das „Tuten“, die Wassergeräusche und das Vogelgeschrei gingen dagegen sehr positiv auf das Gemüt über. Die Hochwasser-ereignisse waren unglaubliche Erlebnisse: auf der neuen höheren Straße (Kaiserkai), die neue Warft, neben der Straße die vollgelaufenen offenen Baugruben mit allen Konsequenzen. Die Besorgungen des täglichen Lebens waren noch außerordentlich mühsam und mit längeren Gängen verbunden. Aber auch das bekam man in den Griff.

Prof. Helmut Gärtner ist emeritierter Professor der Umweltpädagogik, singt für sein Leben gern und teilt diese Leidenschaft mit vielen Mitstreitern seiner Generation. Der 76-Jährige ist seit über zehn Jahren Sänger der Liedertafel, die auf eine traditionsreiche Geschichte zurückblickt. Die Uraufführung des »Deutschlandliedes« im Jahr 1841 geht ebenso auf den Chor zurück wie die vom Gründer Albert Methfessel komponierte Hamburg-Hymne »Hammonia«, die der Chor 1828 erstmals sang. © Catrin-Anja Eichinger

Soziale Kommunikation:

Die war außergewöhnlich intensiv und vielfältig. Alle wollten sich in ihrer neuen Situation austauschen und selbst über die neue Lage vergewissern. Ganz besonders zu erwähnen sind dabei die baugenossenschaftlichen Vorgaben und Vorzüge: Eine Baugenossenschaft stellte eine Wohnung zur Verfügung. Hier traf man sich zu Vorträgen, Diskussionsabenden, runden Tischen und kleineren Kulturveranstaltungen. 

Die andere Besonderheit waren die wunderschön eingerichteten Hofgärten der Genossenschaften mit vielfältigen Nutzungs- und Freizeitmöglichkeiten. Diese wurden intensiv genutzt für Grillabende und vielfältige Zusammenkünfte. Hier entstanden zahlreiche dauerhafte Beziehungen und Kontakte. Ein besonderer kommunikativer Treffpunkt war der Kiosk am Kaiserkai 29 (BVE). Über Jahre wurden hier alle notwendigen Dinge weit über den täglichen Bedarf verkauft, Nachrichten für die Nachbarn hinterlassen und Pakete deponiert. Der Clou: Am Fenster stand eine lange Bank, an der man herrlich Kaffee trinken und tratschen konnte. Zum großen Bedauern jedoch musste dieser Kiosk aufgegeben werden, und leider gibt es einen solchen Treffpunkt hier heute nicht mehr. 

Natur am Kaiserkai:

Ein überraschendes Erlebnis bot die Vielfalt der Natur – und dies trotz massiver Bauvorhaben, zunehmender Betonisierung und Versiegelung der Fläche. Frühzeitiges Setzen von resistenten Zuchtbäumen führte zur Kleinklimaverbesserung und zur Ansiedlung von Insekten und Vögeln. Die dazugehörigen Baumscheiben unter den Bäumen blieben bis zum heutigen Tag in Kies geschüttet, was weder Baum noch Boden noch Natur aus ökologischen Gründen „erträglich“ fanden. Anwohnerinitiativen haben zur Besserung beigetragen. 

Die sogenannte Ritzenfugen-Vegetation, also Pflanzen am Rande und zwischen den Steinen sowie vor Mauern und Geländern als Erstbesiedler von sandfreudigem Boden, bildeten großzügige Grünlinien, wurden jedoch allzu achtlos als unordentlich und „Unkraut“ abgelehnt und beseitigt. Ein besonders schönes Beispiel war die Gestaltung der „Innenhöfe“ bei den Baugenossenschaften. Die zahlreichen Hecken boten vielen Insekten, Vögeln und Säugetieren Unterschlupf und Nistmöglichkeit. Der Vogelgesang auf den Höfen war und ist überwältigend. Der anfangs erhöhte Besatz von Kaninchen und Mäusen bildete ideale Nahrungsketten für Turmfalken und Sperber. Und selbst die unliebsamen Spinnenmassen ziehen bis zum heutigen Tag unzählige Vögel an die Häuserwände und Mauerritzen. 

Lokale Mitplanung und Mitgestaltung:

Hier eröffneten sich vielfältige Möglichkeiten des Mitplanens und Mitgestaltens für die Anwohner. Im Bereich der gesamten HafenCity organisierte die HafenCity GmbH regelmäßig öffentliche Veranstaltungen zu Grünordnungsplänen, Bauplänen und Stadteilentwicklungsplänen. Diese erfreuten sich anfangs großer Aufmerksamkeit, blieben in ihrer Wirksamkeit häufig wenig effektiv. Am Kaiserkai selbst gab es zwei Schwerpunkte, die Grüngestaltung und die Verkehrsproblematik. 

Neben den bereits erwähnten Unzulänglichkeiten beim Straßenbegleitgrün war das Verkehrsproblem in Verbindung mit der Elbphilharmonie die große Herausforderung. Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung wie Einbahnstraßen, Durchfahrverbote für Busse aller Art, Tempolimitierung wurden abgelehnt. Erreicht wurde lediglich ein Durchfahrverbot für Autos im Zeitraum der Abendveranstaltungen in der Elbphilharmonie. Leider kristallisierte sich ein ständig steigernder Massenverkehr mit Bussen aller Art, frisierten Motorrädern und SUVs mit unerträglichem Geräuschpegel heraus: Der Kaiserkai als Imponiermeile und „Angeberpromenade“. Dies kann keine Zukunft für diese schöne Straße sein. 

Fazit:

Wir leben sehr gerne in diesem neuen Stadtteil mit den ständigen Veränderungen und Erweiterungen. Es ist immer noch, auch nach 16 Jahren, der Standort, an dem wir uns wohlfühlen und der für uns genau richtig ist. Der Umzug in die HafenCity vor 16 Jahren war die richtige Entscheidung! Helmut Gärtner

www.hl1823.de

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