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Literatur zur Lage, #76: Gut zu sein ist eben schwer!

HCZ-Kolumnist Jan Ehlert macht sich in der 76. Kolumne seiner „Literatur zur Lage“ so seine Gedanken zu Gut und Böse

Kolumnist Jan Ehlert zitiert den Hamburger Schriftsteller Wolfgang Borchert in Bezug zum Corona-Lockdown: Die Tür schließt sich hinter ihm und nun, so Borchert, „hatte man mich mit dem Wesen allein gelassen, nein, nicht nur allein gelassen, zusammen eingesperrt, vor dem ich am meisten Angst habe: Mit mir selbst“. © Privat
HCZ-Kolumnist Jan Ehlert. © Privat

Wie muss er sein, ein großer Anführer? Die Meinungen der Offiziere in Theodor Fontanes Novelle „Schach von Wuthenow“ gehen darüber ausein­ander. In einem aber sind sie sich einig: Der Mann, der sie anführen soll, muss grausam sein: „Er hat sich nie glänzender bewährt, als in jenen witzigen Einfällen auf dem Gebiete des Grausigen, die so recht eigentlich das Kennzeichen des Genies sind“, loben sie ihren Kaiser, denn: „Ein wirklich großer Mann wird nicht um seiner Güte willen gefeiert. Denn das Gemeine liebt nur das, was ihm gleicht.“
Illustration oben: Der Dichter und Menschenkenner Wilhelm Busch: „Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, was man lässt.“ © Illustration: picture alliance / dieKLEINERT | Ralf Boehme

Eine Einschätzung, die auch heute, fast 150 Jahre nach dem Erscheinen von „Schach von Wuthenow“, traurige Gültigkeit zu haben scheint. Wohin man auch schaut, nach Russland, in die USA, nach Sachsen: Überall dort, wo Wahlen anstehen, dominieren in den Umfragen Menschen, die sich wahrlich nicht durch ihre Güte auszeichnen, sondern durch Hass und Grausamkeit. 

Auch in der Literatur sind es oft die Bösewichte, die eine stärkere Faszination ausüben: Was ist bei Shakespeare schon die Figur der Cordelia im Vergleich zu Richard III.? Der amerikanische Nobelpreisträger William Faulkner versuchte seinerzeit bereits, dieser Tatsache zumindest etwas Galgenhumor abzugewinnen: „Auf die bösen Menschen ist Verlass: Sie ändern sich wenigstens nicht.“ 

Aber können wir uns dann vielleicht ändern? Der Brite Nick Hornby hat das in seinem Roman „How to Be Good“ durchgespielt. Darin bemühen sich seine Protagonisten, nur noch Gutes zu tun: Sie nehmen Obdachlose auf, pflegen Kranke – und scheitern gnadenlos an ihren eigenen Ansprüchen. Gut zu sein ist eben schwer! 

Aber: Viele großen Veränderungen kommen mit kleinen Schritten daher. Der niedersächsische Dichter und Menschenkenner Wilhelm Busch hat es daher anders formuliert: „Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, was man lässt.“ Ein Anfang wäre also, Dinge zu unterlassen, die anderen schaden: Man muss Antisemiten nicht gleich die Stirn bieten, wenn einem dazu der Mut fehlt. Man sollte ihnen aber nicht noch applaudieren, auch nicht auf der Berlinale. 

Doch man könnte noch mehr nicht tun: Die Künstlerin Yoko Ono empfiehlt in ihrer Autobiografie eine besondere Performance: „Versuche, einen Tag lang über niemanden etwas Schlechtes zu sagen. Dann versuche es eine Woche lang.“ Das klingt leichter, als es ist, wäre aber auch ein guter Vorsatz für die noch laufende Fastenzeit. 

Denn wenn wir aufhören, über andere zu schimpfen und andere Ansichten niederzumachen, dann könnten wir stattdessen miteinander ins Gespräch kommen darüber, wie wir zusammen leben wollen. Und vielleicht stellen wir dann ja fest, dass Hass und Grausamkeit dabei keine Rolle spielen sollten. Jan Ehlert

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Jan Ehlert lebt in der HafenCity. Seine Passion sind Bücher. Er schreibt monatlich für die HafenCity Zeitung seine ­Kolumne »Literatur zur Lage«. © Privat

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