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Hamburger Kammerballett: »Ich bin für jeden Tag dankbar«

Uraufführung. Das Hamburger Kammerballett mit dem Leiter Edvin Revazov, Erster Solist bei John Neumeier, ­präsentiert am 15. Februar auf Kampnagel die Premiere von „Floating Spaces“ 

Ein Saal im Ballettzentrum Hamburg – John Neumeier im Stadtteil Hamm. Hier probt das Hamburger Kammerballett seine Neuproduktion „Floating Spaces“, die am 15. Februar auf Kampnagel uraufgeführt wird, mit seinem künstlerischen Leiter Edvin Revazov. Der gebürtige Ukrainer ist selber Tänzer und Erster Solist des Hamburg Balletts John Neumeier. Obwohl der 40-Jährige seit 2001 in Hamburg lebt, fühlt er sich seiner Heimat immer noch verbunden. Als Russland im Februar 2022 die Ukraine angegriffen hat, war er zutiefst entsetzt: „Ich hätte niemals gedacht, dass es einen Krieg zwischen diesen beiden Ländern geben würde. Das Ausmaß der Zerstörung und der Tod so vieler Menschen sind immer wieder ein Schock für mich.“
Foto oben: Der künstlerische Leiter des Hamburger Kammerballetts, Edvin Revazov: „Ich ­hätte niemals gedacht, dass es einen Krieg zwischen diesen beiden Ländern geben würde. Das Ausmaß der Zerstörung und der Tod so vieler Menschen sind immer wieder ein Schock für mich.“
© Christina Gotz via Thirtysixshots

Deswegen wollte Edvin Revazov seinen Landsleuten irgendwie helfen. Er hatte die Idee, geflüchtete Tänzer:innen aus der Ukraine in Deutschland zu unterstützen. Zunächst mit einem Pilotprojekt. Im Juni 2022 trat ein Ensemble mit ukrainischen Tänzer:innen erstmals in der Hamburger Kampnagelfabrik auf. „Anfangs hatte ich noch die Hoffnung, der Krieg würde schnell wieder vorbei sein“, sagt Edvin Revazov. „Als er andauerte, wollte ich den Tänzer:innen mit einer Compagnie mehr Stabilität geben. Denn für Balletttänzer:innen sind Soloauftritte unmöglich.“

Die ukrainische Balletttänzerin Viktoriia Miroshyna (vorn) hatte ein Engagement am ­Charkiwer Nationalen Akademischen Theater, doch der Krieg machte ihre Träume zunichte: „Alles, was ich mir aufgebaut hatte, war plötzlich weg. Ich fiel in ein schwarzes Loch.“ © Christina Gotz via Thirtysixshots

Also gründete er mit Isabelle Rohlfs, ausgebildete Bühnentänzerin sowie Kultur- und Medienmanagerin, eine gemeinnützige GmbH: das Hamburger Kammerballett. Final abgeschlossen wurde dieser Prozess im Januar 2023. Nun zählt das Ensemble sechs Tänzer:innen, ab März werden es acht sein. Noch bereitet sich die Compagnie aber als Sextett auf die nächste Premiere vor. Bei der Probe kommt die Musik vom Band, bei der „Floating Spaces“-Uraufführung wird sie dann live gespielt. Man darf gespannt sein, wie die Olivaer Orgeltabulatur aus dem 17. Jahrhundert klingt, wenn sie von Klavier und E-Gitarre neu interpretiert wird. Ebenfalls eingewoben in die Musik werden Barockwerke von Bach oder Rameau. Dazu komme noch etwas ganz Besonderes, erzählt Edvin Revazov: „Die Tänzer:innen werden Mikrofone auf ihren Händen haben, sodass ihre Bewegungen Klangeffekte erzeugen.“

Der künstlerische Leiter des Hamburg Balletts spricht mit leiser Stimme. Auch wenn er sein Ensemble auf Russisch instruiert. Die Tänzer:innen haben sich paarweise aufgestellt. Mal machen sie Sprünge, mal nehmen sie auf dem Boden eine Haltung ein, die man aus dem Yoga als Position des Kindes kennt. Viktoriia Miroshyna tanzt an der Seite ihres Partners Ihor Khomyshchak. Auch privat sind die beiden ein Paar. Vor Kriegsbeginn hatten sie ein Engagement am Charkiwer Nationalen Akademischen Theater für Oper und Ballett Mykola Lyssenko. „Ein Jahr nach meiner Ausbildung“, erinnert sich die 21-Jährige, „habe ich in ,Der Nussknacker‘ mein erstes Solo bekommen. Ich dachte, ich könnte beruflich richtig durchstarten.“ Doch der Krieg machte ihre Träume zunichte: „Alles, was ich mir aufgebaut hatte, war plötzlich weg. Ich fiel in ein schwarzes Loch.“

Zwei Wochen nach Kriegsbeginn hielt sie es in Charkiw nicht mehr aus: „Die Situation wurde unerträglich.“ Darum zog sie sich mit ihrem Freund in dessen Heimatort Lwiw zurück, bevor das gesamte Ballettensemble nach Bratislava floh. In der Slowakei waren die (Arbeits-)Bedingungen für die Tänzer:innen allerdings nicht besonders gut. Weder bekamen sie angemessene Gagen noch eine vernünftige Unterkunft. Doch Viktoriia Miroshyna hatte Glück im Unglück. Ein Bekannter von ihr war mit Edvin Revazov vernetzt, sie schickte ihm ein Video, er lud sie nach Hamburg ein. So kamen Viktoriia Miroshyna und Ihor Khomyshchak in die Hansestadt. Sie mussten nicht erst in eine Aufnahmeeinrichtung ziehen, sondern kriegten direkt eine der vier Wohnungen auf St. Pauli, die die Stiftung St. Georg den Tänzer:innen des Hamburger Kammerballetts zur Verfügung stellt.

„Ich bin für jeden Tag mit dem Hamburger Kammerballett dankbar“, versichert Viktoriia Miroshyna. Trotzdem vermisst sie natürlich ihre Familie, ihre Freund:innen. Über eine mögliche Rückkehr in ihre Heimat denkt sie im Moment nicht wirklich nach: „Keiner weiß, wann der Krieg zu Ende sein wird. Ich könnte mir vorstellen, wieder in die Ukraine zu gehen. Vielleicht baue ich mir aber auch im Westen eine Karriere auf.“ Dagmar Leischow

Info: Mit der Produktion „Floating Spaces“ gastiert das Hamburger Kammerballett vom 15. bis 17. Februar, jeweils 19 Uhr, in der Hamburger Kampnagelfabrik. Weitere Informationen unter www.kampnagel.de

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