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Kommt die linke AfD?

Parteigründung. Die Politikerin Sahra Wagenknecht hat mit Weggefährten die Partei Die Linke verlassen und die Gründung des Vereins BSW, Bündnis Sahra Wagenknecht, bekannt gegeben. Was sagen Hamburger Politiker dazu?
Plus Gastkommentar von Prof. Jörg Müller-Lietzkow: »Wagnis oder Kalkül?«

Der Medienauftrieb im  Politikbiotop Berlin  überschlug sich samt überbordendem Besuch im Saal der Bundespressekonferenz am 23. Oktober 2023, als die Ex-Fraktionschefin und das Sprachrohr der Kommunistischen Plattform ihren Austritt aus der Partei Die Linke und die Gründung des Vereins Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bekannt gab. Ihr Ziel: eine linke, moskau­freundliche Sozial-Alternative zu SPD und Linkspartei bieten – inklusive rechtskonservativer Migrations- und Ökowende-Politik der Ampelregierung. 
Foto oben: Die Vorstandsmitglieder des Vereins „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ (v. l.): Lukas Schön, Amira Mohamed Ali, Sahra Wagenknecht, Ralf Suikat und Christian Leye in der Bundespressekonferenz am 23. Oktober 2023 zur Gründung des Vereins, der als Vorstufe zur Gründung einer neuen Partei im linken Spektrum gilt. © picture alliance/dpa | Soeren Stache

Falko Droßmann, MdB, SPD: „Einen großen Effekt auf die Bürgerschaftswahl sehe ich nicht. Inhaltsleere zahlt sich nicht aus.“ © Falko Droßmann

Wagenknecht will 2024 zur Europawahl und den drei ostdeutschen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg antreten. Und bei Erfolg dann auch 2025 zur Bürgerschaftswahl in Hamburg und zur Bundestagswahl. Die schillernden Schlagzeilen von „Start für die One Woman Show“ (Deutschlandfunk) bis „Regieren statt Sektieren“ (taz) über „Der Eklat bin ich“ (Süddeutsche Zeitung) betonen den oberflächlichen Pop-Aspekt des „Ego-Trips“ (Tagesspiegel) von Wagenknecht. 

Wir haben mal Bürgerschaftsabgeordnete (MdHB) und Hamburger Bundestagsabgeordnete (MdB) gefragt: Wie sehen Sie  die neue Wagenknecht-Partei, und hat sie Einfluss auf die Hamburger Bürgerschaftswahl Anfang 2025?

Falko Droßmann, SPD-MdB: „Ich werde misstrauisch, wenn Millionäre wie Wagenknecht vorgeben, sich um die Sorgen ,kleiner‘ Leute zu kümmern. In Wirklichkeit aber ist ihr Vorgehen klug: Sie nimmt jedes Vorurteil und die Unsicherheit der Menschen auf und präsentiert beeindruckend einfache Scheinlösungen. Meines Erachtens streben Wagenknecht und ihre Parteigänger nach Absicherung ihrer Tantiemen. Einen großen Effekt auf die Bürgerschaftswahl erwarte ich nicht. Inhaltsleere zahlt sich nicht aus.“

Christoph de Vries, MdB, CDU: „Ungefährlich ist diese Mischung aus Putinnähe und sozialistischen Verstaatlichungsplänen nicht.“ © Privat

Christoph de Vries, CDU-MdB: „Hier entsteht ein neues politisches Sammelbecken aus Unzufriedenen und Systemzweiflern, das gewiss Potenzial hat, kurzfristig Erfolge bei den anstehenden Parlamentswahlen zu erzielen. Ob eine dauerhafte Etablierung des BSW im deutschen Parteiensystem gelingt, bleibt angesichts der One-Woman-Show, ihrer geringen Organisations- und Teamfähigkeit und ihres überschaubaren Fleißes im parlamentarischen Tagesgeschäft abzuwarten. Ein positiver Effekt der Gründung des BSW könnte das Aus für die Linkspartei und ein deutlich geringerer Zuspruch für die AfD sein. Ungefährlich ist diese Mischung aus Putinnähe und sozialistischen Verstaatlichungsplänen bei Sahra Wagenknecht und ihren Gefolgsleuten allerdings nicht. Denn letzlich werden die Grundzüge der sozialen Marktwirtschaft und Deutschlands Sicherheit durch die Mitgliedschaft in der NATO infrage gestellt.“

Michael Kruse, MdB, FDP: „Die neue Wagenknecht-Partei wird ein Sprachrohr für Despoten.“ © Michael Kruse

Michael Kruse, FDP-MdB: „Die neue Wagenknecht-Partei wird ein Sprachrohr für Despoten. Wer wie Frau Wagenknecht die Gräueltaten Putins legitimiert, der Ukraine ihr Selbstverteidigungsrecht abspricht, Deutschland wieder in die Abhängigkeit von Putin führen möchte und Gaza als ,Freiluftgefängnis‘ bezeichnet, der steht nicht für Demokratie und Freiheit, sondern für Despotie und Unterdrückung. Die autoritäre Linke ist genauso gefährlich wie die autoritäre Rechte – die demokratischen Parteien der Mitte müssen dieser Radikalisierungstendenz entschieden entgegentreten.“

Heike Sudmann, MdHB, Die Linke: „Es ist gut, dass diese Hängepartie endlich vorbei ist. In Hamburg entstehen keine Verluste.“ © Privat

Heike Sudmann, MdHB-Die Linke: „Es ist gut, dass diese Hängepartie, die vor allem der Partei Die Linke schaden sollte und auch geschadet hat, endlich vorbei ist. Relevante Wagenknecht-Anhänger:innen, die in der Partei, im Bezirk oder auf Bürgerschaftsebene engagiert arbeiten, haben wir in Hamburg nicht. Daher entstehen keine großen Verluste. In Hamburg wird die gute Arbeit unserer Bürgerschaftsfraktion und der Bezirksfraktionen anerkannt. Deshalb bin ich für die Bürgerschaftswahl optimistisch. Ein gutes Ergebnis bei der Bürgerschaftswahl wird sich auch positiv auf die Bundestagswahl auswirken.“

Farid Müller, MdHB, Die ­Grünen: „Ich bin da sehr gelassen. Ob es einen ­Landesverband Hamburg zur Bürgerschaftswahl gibt, bleibt abzuwarten.“ © Wolfgang Timpe

Farid Müller, MdHB-Die Grünen: „Ich bin da sehr gelassen. Ob es einen Landesverband Hamburg zur Bürgerschaftswahl gibt, bleibt abzuwarten.“

Eins scheint sicher: Die Bürgerschaftswahl, für die sich jetzt schon alle in Stellung bringen, verspricht richtig spannend zu werden. Wolfgang Timpe

Gastkommentar zu BSW – Die neue Sahra-Wagenknecht-Partei

»Wagnis oder Kalkül?« Von Prof. Jörg Müller-Lietzkow

Von Prof. Jörg Müller-Lietzkow

Jörg Müller-Lietzkow, Präsident der HCU: „Die Wagenknecht-Partei darf kein Verliererspiel für die Demokratie werden.“ © Catrin-Anja Eichinger

Wenn mich vor gut fünf Jahren jemand gefragt hätte: Brauchen wir eine Wagenknecht-Partei? Ich hätte gesagt: Wir brauchen eine funktionierende Demokratie und keine weiteren Parteien, insbesondere die AfD braucht es gar nicht. Warum also noch eine linke Partei? An der Grundhaltung hat sich nichts geändert, die demokratische Mitte ist meine Heimat. Doch in den fünf Jahren hatten wir eine globale Pandemie, zwei Kriege, Umweltkatastrophen (Ahrtal und mehr), eine Wirtschaftskrise (Folge der Kriege, der Pandemie und der nicht mehr funktionsfähigen Lieferketten), explodierende Bau- und Wohnungskosten, einen grundlegenden Regierungswechsel und nicht zuletzt ein Erstarken der rechten Flanke. Wahlen führen inzwischen zu nahezu absurden Ergebnissen für die AfD, und die mir vertraute Mitte ist kaum wiederzuerkennen, sie ringt um eine politische Zukunft. 

In diesen Zeiten sortiert sich das System komplett neu. Ich höre von vielen Bekannten, „Nein, die AfD wähle ich nicht, aber …“ oder auch, dass man „sehr unzufrieden“ ist mit der Berliner Politik. In dieser Zeit suchen Menschen nach anderen Antworten und neuen Stabilitätsversprechen, denn die Verunsicherung, Wut und Zukunftsangst nehmen zu. Hier nun eine vermeintlich heilsbringende neue Partei zu gründen bietet – rational betrachtet – mit dem verfolgten Ansatz eine Chance, ein politisches Geschäftsmodell zu werden, das sicherlich aus Sicht der betroffenen Akteurinnen und Akteure wohlkalkuliert ist. Vor dem Hintergrund würde vieles für ein Kalkül sprechen. Zumal die in der Premieren-Pressekonferenz vom 23. Oktober 2023 adressierten Ziele zur Gründung des Vereins Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als Vorbote der neuen Partei verlockend einfach klingen. 

Doch – und da setzt das Wagnis ein – was bedeutet die weitere Parteien-Zerklüftung für eine Demokratie, für unser Land? Man bedenke, dass Wahlerfolge der einen immer nur über Misserfolge der anderen zu erreichen sind. Und was, wenn nur noch politische Bündnisse in merkwürdigen Konstellationen zu notwendigen Mehrheiten führen? Die Gründung der Wagenknecht-Partei, die bis dato sehr wenig über ihre wahre Agenda kundgetan hat, kann mit zwei Szenarien enden: Entweder die Partei spaltet das linke Lager, aber am Ende bleibt für Die Linke wie auch die neue Partei zu wenig für den Einzug in die Parlamente; oder, und dann wird das Spiel zum Wagnis für die Demokratie, die neue Partei zieht ebenso stark wie die in Teilen rechtsextreme AfD. Quo vadis Demokratie, kann ich da nur fragen? Quintessenz: Die Gründung der Partei ist ganz klar ein Kalkül, aber das Wagnis, mit der Demokratie zu spielen, ist durchaus ein sehr großes. Man kann nur allen wünschen, dass dies nicht zu einem Verliererspiel für uns alle wird.

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Prof. Jörg Müller-Lietzkow ist Präsident der HafenCity Universität Hamburg (HCU)

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