Pro & Contra: Braucht Hamburg eine neue Oper?

Pro + Contra. Mäzen Klaus-Michael Kühne will der Stadt für 300 Millionen Euro eine neue Oper schenken – auf dem Baakenhöft. Brauchen wir sie – und an diesem Ort? Darüber streiten die Bankerin Cornelia Klingler und die Rechtsanwältin Sigrun Mast 

Pro: »Eine Einladung zum Hören und Staunen!«

Am Anfang von allem Neuen steht immer eine Vision. Die darf gerne spektakulär sein, meinetwegen auch verrückt. Wir erinnern uns: Wie wurde um die Elbphilharmonie gerungen, wie viele kleinmütige Stimmen gab es, die an Bedenken festhielten, statt auf die Möglichkeiten zu sehen! Und heute, sechseinhalb Jahre nach der Eröffnung? Denkt niemand mehr an die Kosten und Probleme während des Baus. Die „Elphi“ ist das neue Wahrzeichen der Stadt, ein Touristenmagnet, millionenfach fotografiert und in die Welt getragen. Sie ist der Beweis dafür, dass die als Pfeffersäcke und Erbsenzähler berüchtigten Hamburger Politiker und Kaufleute auch anders können – nämlich kühn und visionär. Wer heute auf der Aussichtsplattform steht, den Hafen überblickt und Hamburgs Kirchtürme zählt, ist einfach nur stolz auf diese Stadt. 
Foto oben: Ein PRO für eine Oper auf dem Baakenhöft. Für die Pro-Autorin Cornelia Klingler sollte es spektakulär wie das Opernhaus in Oslo sein. © Mats Anda/GettyImages | Norwegische Nationaloper & Ballett

Nun gibt es wieder eine Vision und einen Mann, der groß plant: Mäzen Klaus-Michael Kühne, unter anderem Anteilseigner bei Hapag-Lloyd, möchte in der HafenCity, genauer: am Baakenhöft, eine neue Oper errichten lassen. Er und seine Frau sind große Opernliebhaber, gerne will er sich an den Baukosten beteiligen, so wie er es auch schon bei der Elbphilharmonie hielt. 300 Millionen aus seinem Stiftungsfonds sind für ein neues Opernhaus im Gespräch. 

Ist das ein wunderbares Geschenk, eine tolle Idee? Leider ist er schon wieder zu hören: der Chor der Zweifler. Haben wir nicht schon eine Oper? Ja, haben wir. Die Hamburgische Staatsoper wurde 1955 nach schweren Bombenschäden in der Dammtorstraße neu errichtet, ist mittlerweile renovierungsbedürftig, nach Auskunft von Kühne asbestverseucht. Von der Akustik her auf jeden Fall mittelmäßig. Ich als Opernfreundin, die regelmäßig die Koffer packt, um meinen Stars in die Arena von Verona, die Semperoper nach Dresden, in die Mailänder Skala oder die Münchner Staatsoper hinterherzureisen, kann das beurteilen. Was spricht also gegen einen Neubau in der HafenCity, wo Hamburg auch groß gedacht und geplant hat? 

Opernhäuser sind Leuchttürme, sie ragen heraus aus den Nützlichkeitsbauten, den Shoppingmalls, Kaufhäusern und Bürotürmen. Sie präsentieren den Geist einer Stadt, sie prägen die Skyline, sie sind eine einzige Einladung zum Hören, Sehen und Staunen. Wie die Elphi zeigt, muss es nicht nur Konventionelles sein, was dort erklingt. Im ehemaligen Speicher gibt es Jazz wie rumänische Folklore, Funkelkonzerte für die Kleinsten, Literaturlesungen wie jetzt zur Eröffnung des Harbour Front Literaturfestivals – und Sasha Waltz mit ihrer Compagnie tobte kurz vor der Eröffnung auch schon durch die ­Gänge. 

Wenn ich mir Hamburgs neue Oper am Baakenhöft vorstelle, fallen mir weltberühmte Vorbilder in der Welt ein, auch allesamt mit Blick aufs Wasser: die Oper im australischen Sydney, von den Bewunderern liebevoll „schwangere Auster“ genannt. Dann das spektakuläre Opernhaus in Oslo, 2008 errichtet, mit Blick auf den Fjord. Das schneeweiße Haus mit begehbarem Dach ist einem treibenden Eisberg nachempfunden. Oder das Opernhaus Kopenhagen, 2005 eröffnet, ein Geschenk der Stiftung Arnold Maersk Mc-Kinney Møller, Gründer der gleichnamigen Containerreederei. 335 Millionen Euro zahlte die Stiftung. Da klingelt es doch in meinen Ohren! 

Das Modell, dass Reeder den Bürgern ihrer Heimatstadt Musik und tolle Bauten schenken, scheint also gut zu funktionieren. Ob Klaus-Michael Kühne im Tausch für die Oper die Liegenschaft am Stephansplatz erhält, inwieweit dort zusätzlicher Wohnraum entstehen kann, steht noch in den Sternen und wäre Verhandlungssache. Verhandeln können die Hamburger, sonst wären die legendären Pfeffersäcke nicht so gut gefüllt. Ich könnte mir etwa eine Auflage vorstellen, dass die Nutzung zu 80 Prozent den Bau von Wohnungen vorsieht. Eine Belebung der Innenstadt wäre gut für die Gastronomie und für all die Passanten, die sich derzeit rund um Jungfernstieg und Binnenalster nach Einbruch der Dunkelheit eher unbehaglich fühlen. Klingt nach „Win-win“? Genauso ist es. Ich freue mich jedenfalls auf eine Oper vor meiner Haustür und einen weiteren Standort für das Schönste, was es gibt: Musik. Ein „Ja“ zu dieser Vision wäre – um mal im Bild zu bleiben – ein Paukenschlag und ganz große Oper! Cornelia Klingler

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Cornelia Klingler ist selbstständige Finanzberaterin und lebt in der HafenCity, Überseeboulevard.

Ein CONTRA gegen eine Oper auf dem Baakenhöft. Für die Contra-Autorin Sigrun Mast sollten die HafenCitizens selbst entwickeln, was auf dem Baakenhöft entsteht. © Catrin-Anja Eichinger

Contra: »Belasst die Oper im Herzen der Innenstadt!«

„Nessun dorma!“, keiner schlafe, lautet die berühmte Arie des Prinzen Kalaf aus Puccinis Oper „Turandot“. Wenn die HafenCitizens schlafen, können sie aktuelle Entwicklungen in ihrem Stadtteil schnell versäumen. Denn ihr Stadtteil, in dem sie wohnen, die HafenCity, ist Ort der Planungen anderer. Mal sind es die Planungen der HafenCity GmbH, mal die des Senats oder jene großer Mäzene. Auf dem Reißbrett entworfen, 2008 gegründet, wird den HafenCitizens 2023 noch nicht das Recht zugestanden, über ihren Stadtteil mitzubestimmen. 

Sollten Sie mitbestimmen dürfen? Ist es nicht als erweiterte Innenstadt Sache der klugen Planer, des Senats, der Bürgerschaft, das Stadtbild zu bestimmen? Kommen die HafenCitizens nicht in einem Bauausstellungsprojekt des Hafens an, in das sie sich erst einmal einzupassen haben? Eine Beteiligung der HafenCitizens bewirkt, dass sie sich ihren Stadtteil zu eigen machen, ihm eine eigene Prägung geben, sich zu Hause fühlen. Eine solche demokratische Beteiligung ermöglicht, dass die HafenCitizens die HafenCity als „ihren“ Wohnort erachten.

Nun wünscht sich Herr Kühne als Mäzen eine Oper auf dem Baakenhöft. Wünscht sich das Baakenquartier, der Stadtteil eine Oper? Spielt es bei den bisherigen Überlegungen eine Rolle, was die HafenCitizens darüber denken? Nein, das spielt es nicht. Die Stadt führt nach Presseberichten Gespräche mit Herrn Kühne. Sie führt keine Gespräche mit den HafenCitizens. Dies ist einer meiner erheblichsten Kritikpunkte an dem bisherigen Verfahren: Es ist eine Planung über die Köpfe der Menschen hinweg, die hier leben. 

Doch gehen wir weiter zu der grundsätzlichen Frage: Brauchen wir eine neue Oper in Hamburg? Die Hamburgische Staatsoper hat ihre erste Wurzeln 1678 in der Oper am Gänsemarkt. Sie hat vielen Opernstars eine Bühne gegeben, geholfen, deren Stimmen in die Welt zu tragen. Kent Nagano als Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und des Philharmonischen Staatsorchesters ist sich sicher, dass es wegen der historischen Perspektive auf Hamburg als führender Stadt einer neuen Oper bedarf. Die jetzige Oper als Nachkriegsbau ist bis auf die letzte Ecke verplant. Bühnenbild, Requisiten und Kostüme fanden bereits ihren Platz in Rothenburgsort. Das aktuelle Gebäude soll renovierungsbedürftig sein. 

Wenn eine neue Oper gebaut würde, stellt sich die Frage nach dem Bestand des alten Hauses. Ein weiteres ergänzendes oder ersetzendes Operngebäude gewährleistet, dass Hamburg zu keinem Zeitpunkt ohne Oper bleibt. Zwei Opernhäuser zu erhalten und zu betreiben ist allenfalls in wirtschaftlich ruhigen Zeiten denkbar. Die aktuellen Jahresfehlbeträge der letzten veröffentlichten Bilanzen der Hamburgischen Staatsoper Gesellschaft mit beschränkter Haftung betragen im Abschluss 2021/2022 -121,82 Euro und im Abschluss 2020/2021 -1.099.312,93 Euro. Auch wenn der hohe Verlust aus dem Corona-Jahr stammt, so weist der Anhang des Jahresabschlusses ausdrücklich darauf hin, dass die Zahlungsfähigkeit auch davon abhängig ist, dass die Freie und Hansestadt Hamburg als Gesellschafterin die zur Aufrechterhaltung des Spielbetriebs erforderlichen Mittel – im Rahmen des Budgetplanes – wie bisher zur Verfügung stellt. 

Wer eine zweite Oper will, wird unter den aktuellen Rahmenbedingungen andere Mittel kürzen müssen. In der derzeitigen wirtschaftlichen Situation befürworte ich die Finanzierung eines weiteren Opernhauses nicht. Anders könnte die Antwort nur lauten, wenn sowohl der Bau als auch das Betreiben vollständig und dauerhaft anderweitig gesichert sind.

Wer zu dem Ergebnis kommt, dass es in Hamburg einer neuen Oper bedarf, muss sich als weitere Frage die des Standortes stellen: Brauchen wir eine Oper in der HafenCity? Die Elbphilharmonie als markantes Bauwerk überragt die Häuser des Stadtteils. Sie ist ein Wahrzeichen Hamburgs. Ein weiteres kulturelles Wahrzeichen in unmittelbarer Nähe nähme der Elbphilharmonie einen Teil ihrer Strahlkraft. Zugleich ginge der Innenstadt ein kultureller Anziehungspunkt verloren. Ist es sinnvoll, eine neue Oper aus der Innenstadt heraus zu verlagern? Mit Blick auf die derzeitigen erheblichen Anstrengungen, die Innenstadt zu beleben und attraktiver zu gestalten, ist meine Antwort klar: Nein, in der HafenCity brauchen wir keine neue Oper. Belasst die Oper – ob alt oder neu – im Herzen von Hamburg.

Und zuletzt: Das Baakenhöft, insbesondere der Schuppen 29, kann und sollte Identifikationsort der HafenCitizens werden: für Stadtteilkultur, als Ort für Jugendliche, auf jeden Fall als Ort, den die HafenCitizens selbst entwickeln, über den sie selbst entscheiden. Ein Ort, der für alle HafenCitizens zu nutzen ist, der offen ist. Über 20 Jahre nach der Gründung des Stadtteils ist es für mich dafür an der Zeit. Sigrun Mast

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Sigrun Mast ist Rechtsanwältin und lebt in der HafenCity, Baakenallee.

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