E-Paper . Archiv . Newsletter
Pro: »Das Gendern hat es zu schwer!«

Pro Gendern. Der Journalist Harald Nebel setzt auf Respekt

Autor Harald Nebel. © Privat

Das Thema „Gen-dern“ ist weniger komplex als umstritten. Die einen meinen, Geschlechterrollen und Stereotypen sind zu bekämpfen, um eine gleichberechtigte Gesellschaft zu schaffen. Für sie ist das Gendern ein Schritt zur Veränderung der Denkmuster und Verhaltensweisen. Die anderen denken, dass Gendern unnötig ist und die natürliche sprachliche Entwicklung stört. Sie sehen darin einen Angriff auf die Freiheit der Sprache und eine Überregulierung. Ich sage: Gendern hat nichts mit „political correctness“ zu tun, es ist eine Frage des Respekts.

Weder die einen noch die anderen dürften allerdings ernsthaft daran zweifeln, dass der weibliche Anteil an der Gesamtbevölkerung mindestens 50 Prozent beträgt. Weder die einen noch die anderen sollten daher dieser relevanten, weil großen und für die Regeneration der Menschheit unverzichtbaren Gruppe das Recht bestreiten, extra be- und genannt zu werden. 

Natürlich kann es bisweilen ganz schön nervig sein, wenn während eines Drei-Minuten-Beitrags der „Tagesschau“ über die Wahl in Berlin 17-mal die Wortkombination „Berlinerinnen und Berliner“ fällt. Werbung fürs Gendern ist das eher nicht, die lässt sich definitiv besser und wirkungsvoller betreiben. Allein, „jammern nützt ja nichts“, sagt man in Hamburg und sucht nach etwas Besserem. Wie wäre es denn mit „Berliner:innen“? Eine seriöse Option, die nicht schwerfällt, die nicht nervt, die nicht übertreibt oder gar überreguliert. Eine pragmatische und damit auch sehr praktische Lösung.

Will sagen: Die Nachteile des Genderns tendieren, näher betrachtet, gen null. Sie sind leicht überschaubar und vor allem mit ein wenig gutem Willen leicht zu händeln. Dagegen überwiegen die, auch für Männer, emanzipatorischen Fortschritte bei Weitem – theoretisch und praktisch. Die wichtigsten darunter gefällig? Bitte schön!

• Die Zeiten des Patriarchats sind vorüber, auch in der Sprache. Die Ablehnung des Genderns ist lediglich ein patriarchales Rückzugsgefecht alter weißer Männer. Und, leider, sogar von Frauen – muss man gerechterweise hinzufügen. Denn selbst unter jungen Frauen soll es Gegnerinnen des Genderns geben.   

»Das Gendern bewahrt die Hälfte der Menschheit vor Diskriminierung und Zweitklassigkeit.« 
Harald Nebel

• Sprache ist etwas historisch Geschaffenes. Geprägt durch traditionelle männliche Dominanz, durch das schon erwähnte Patriarchat. Sie ist kein neutrales, unschuldiges System, das unter allen Umständen auf eine bestimmte Weise beibehalten werden muss. Sprache lebt, und das bedeutet zugleich: Sie entwickelt sich ständig weiter.

• Sprache schafft zwar nicht wirklich die Realität, sie kann aber dazu beitragen, Realität zu verändern, ja, sie zu verbessern. Sprache kann und sollte daher auch eingesetzt werden als eines von diversen Vehikeln zur Herstellung von Gerechtigkeit, Fairness und Inklusion.

• Studien belegen, dass weibliche Sprachformen die männliche Diskursdominanz mindern und Einstellungen hin zu mehr Gleichberechtigung fördern. Mit sehr konkreten gesellschaftlichen Auswirkungen: Wenn heute von Industriemechanikern und Industriemechanikerinnen die Rede ist, wird dieser Beruf nicht länger als männliches Monopol wahrgenommen und gelernt. Traditionell männliche Berufe werden so auch für Mädchen eine realistische Option, die sie sich zutrauen und ebenso erreichen können wie Jungen.

Den Vorteilen zum Trotz: Nur ein gutes Viertel (26 %) der Deutschen befürwortet das Gendern. Unter den Jüngeren (18 bis 39 Jahre) und Gebildeteren spricht sich etwa ein Drittel dafür aus (Infratest Dimap Mai 2021). Das heißt zugleich: Fast zwei Drittel (65 %) lehnen das Gendern ab. Selbst bei den Jüngeren und Personen mit höherer Bildung befürwortet es nur etwa jeder Dritte (Infratest Dimap). 36 % der Befragten würden sogar ein gesetzliches Verbot des Genderns begrüßen.

Fazit: Das Gendern hat es immer noch schwer. Gemessen an seiner gesellschaftlichen Bedeutung: zu schwer. Während inzwischen sogar die Nachhaltigkeit als pure Notwendigkeit anerkannt wird, gilt das Gendern eher als philosophischer Luxus abgehobener Gutmenschen. Dabei vergessen seine Kritiker, allesamt immerhin Nachfahren der europäischen Aufklärung: Das Gendern bewahrt, mindestens mal in der Sprachpraxis, die Hälfte der Menschheit vor Diskriminierung und Zweitklassigkeit.
——————————————————————

Harald Nebel, Journalist und Autor, Hamburg

Nachrichten von der Hamburger Stadtküste

Abonnieren Sie unseren monatlichen Newsletter!

Das könnte Ihnen auch gefallen

Fairness, Gemeinschaft und Inklusion

Sportvereine. Der junge Kickerverein Hamburg HafenCity Fußball-Club e. V. wächst ­inzwischen zum sozialen Quartiers-Sport-Netzwerk und auch