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Stadtsilhouette HafenCity mit dem „Spiegel“-Gebäude und der Wohnbebauung an der Shanghaiallee sowie dem Lohsepark mit der unbebauten Ex-Gruner + Jahr-Fläche vor den Bahngleisen. © Mediaserver Hamburg | DoubleVision – doublevision.me
Pro&Contra: Mehr Grün in der HafenCity?

Die HCZ-Kolumnisten Frank Engelbrecht und Jörg Munzinger diskutieren in unserer neuen Rubrik „Die Debatte“ jeden Monat ein Thema, das die Anwohner:innen und Gewerbetreibenden im Quartier bewegt

Bitte antworten Sie, liebe Leser:innen und User:innen, unseren HCZ-Kolumnisten Frank Engelbrecht (HCZ-pro@hafencityzeitung.com) und Jörg Munzinger HCZ-contra@hafencityzeitung.com) zu ihrer Meinung für (Pro) und gegen (Contra) mehr Grün- und Freiflächen in der HafenCity. 

Pro: »Wir brauchen eine neue grüne Stadt!« 

Frank Engelbrecht empfiehlt ein Sperrwerk an der Elbe und mehr öffentliche Flächen:
„Ja, mehr Grün tut der HafenCity gut. Wer die Hauptkirche St. Katharinen betritt, trifft auf ein Meer aus Hoffnungsbildern. Bunt wie eine Blumenwiese erhebt sich das Gloriafenster über die gesamte Ostfassade: mit musizierenden Engeln, die in der ewigen Stadt des neuen Jerusalems, der Stadt Gottes, für uns aufspielen und tanzen. Davor präsentiert der Altar Osterbilder vom leeren Grab bis Pfingsten. Das Relief auf der Petrella, die die Bilder mit dem Altartisch verbindet, erzählt die Geschichte vom Engel mit dem Feuerschwert, der Adam und Eva aus dem Paradies verweist. Traurig sehen die Tiere ihren einstigen Freunden nach, wie sie durch das Tor des Paradiesgartens schreiten, hinter dem sich eine steinerne Stadt auftut. Diese Korrespondenz der Bilder erzählt vom Grün in unserer neuen Stadt, der HafenCity: Lasst uns mit österlichem Rückenwind den Garten in die Stadt zurückholen. Oder im Stadtentwickler-Sprech: Lasst uns das Urbane und das Rurale, Stadt und Land im Sinne einer funktionsgemischten Stadt zusammenbringen, damit Lebensqualität, Nachhaltigkeit, Teilhabe, Artenvielfalt, Klimaschutz und Prosperität einander die Hände reichen. 
Foto oben: Stadtsilhouette HafenCity mit dem „Spiegel“-Gebäude und der Wohnbebauung an der Shanghaiallee sowie dem Lohsepark mit der unbebauten Ex-Gruner + Jahr-Fläche vor den Bahngleisen. © Mediaserver Hamburg | DoubleVision – doublevision.me

Frank Engelbrecht, ist Pastor an der Hauptkirche St. Katharinen und diskutiert in der HCZ-Reihe „Pro&Comtra – Die Debatte“ als Partner mit Jörg Munzinger über seine Eindrücke und Beobachtungen in der HafenCity. Seine Leidenschaft sind die Beteiligung vieler an einer lebendigen nachhaltigen Nachbarschaft und einer lebenswerten Großstadt. © Catrin-Anja Eichinger
Frank Engelbrecht, ist Pastor an der Hauptkirche St. Katharinen und diskutiert in der HCZ-Reihe „Pro&Comtra – Die Debatte“ als Partner mit Jörg Munzinger über seine Eindrücke und Beobachtungen in der HafenCity. Seine Leidenschaft sind die Beteiligung vieler an einer lebendigen nachhaltigen Nachbarschaft und einer lebenswerten Großstadt. © Catrin-Anja Eichinger

In den vergangenen 18 Jahren erlebte ich immer wieder Zeitreisen in meine Schul- und Studienjahre vor dem Fall der Mauer 1989. Beim Hinterfragen der West-Politik der BRD hieß es schnell: „Dann geh doch in die DDR!“ Wenig attraktiv. Seit meinem Amtsantritt in St. Katharinen 2003 hieß es auch immer wieder: „Du willst mehr Grün in der HafenCity? Dann geh doch aufs Land. Das hier ist Urbanität.“ Urbanität, ein Zauberwort, das Bilder von Metropolen wie Paris, London oder New York erweckt – und doch nicht ankommt gegen die Sehnsucht der Hamburger:innen nach mehr Grün für ihre Stadt. 

Zu tief sitzt ihr Stolz, in einer der grünsten Städte Europas und der Welt zu leben. In der HafenCity sind Bäume zwar inzwischen gewachsen, aber sie stehen doch seltsam vereinzelt. Die westlichen Parks wie der Sandtorpark oder Grasbrook-Park gleichen eher einem Kleingrün, jedenfalls wenn wir sie mit den Grünflächen wie denen am Ostufer der Alster vergleichen, die sich trotz vielfacher weiterer Ausdehnung bescheiden Alsterwiesen nennen. Der Lohsepark funktioniert gut, könnte aber ein wenig mehr Volumen gebrauchen, gerade auch wenn ich an die Rhetorik vom „Central Park“ Hamburgs bei der Eröffnungsfeier denke. Hier bietet der aktuell wilde Park auf dem ehemals Gruner + Jahr zugedachten Gelände eine Chance. 

In einem etwa zehnjährigen Moratorium könnte dieser Teil des Lohseparks beispielsweise mit einem Bauspielplatz, Fahrradparcours oder Kulturhaus belegt werden und in einem Zusammenwirken von Stadt und Zivilgesellschaft die Aufgabe bekommen, dieses Gebiet im Sinne des Stadtteils zu entwickeln und dabei die Möglichkeit einer bleibenden Parkerweiterung aktiv mitzudenken. Vorbildlich ist der Nachbarschaftsgarten im Oberhafen, auch wenn das von städtischer Seite eingeforderte Abstandsgrün durchaus noch Potenzial für ausgedehntere lokal verwaltete Urban-Gardening-Aktivitäten bieten würde. Zusätzliche künftige Potenziale finden sich in vorhandenen Strukturen: Dächer und Fassaden begrünen, gern in Kombination mit Solaranlagen, sodass Steinfassaden und Steindächer von der Regel zur Ausnahme werden. Entsiegelung von Straßenräumen, nicht allein für Pop-up-Radwege, sondern auch für Grünflächen – gerne mithilfe der Aktivierung der Nachbarschaft. 

Die massiven Kreuzungsbereiche, welche die HCU vom Lohsepark und seinem Schulcampus trennen, oder der vereinsamte St.-Annen-Patz mit der über-dimensionierten Kreuzung Am Sandtorpark/Osaka-allee könnten sich mit Begrünung zu attraktiveren öffentlichen Räumen verwandeln – ebenso wie der öde Vorplatz zu Füßen der Elbphilharmonie. Zudem kann mehr Grün Raum greifen, wenn wir die Uferpromenaden und den Zugang zum Wasser mitdenken. 

Ein durchaus langfristiger Plan, zwar ehrgeizig, aber nicht unrealistisch, wäre die Umstellung des Hochwasserschutzes von der Warftenlösung auf ein Sperrwerk an der Elbe vor der HafenCity. Das würde die Möglichkeit zum Zurückkehren des Wohnens in die Speicherstadt, also auf das Gelände des ehemaligen Wandrahmquartiers, ermöglichen und zugleich Strandpromenaden mit Begrünungsmöglichkeiten und Brückenschlägen Richtung Entenwerder schaffen. Die Entwicklung ließe sich entlang aller Fleete auch in Richtung Hammerbrook und Altstadtküste weiterdenken. Schließlich sollten wir die Möglichkeit angehen, die Steinstadt in der gerade entstehenden östlichen HafenCity am Baakenhafen bis zu den Elbbrücken noch einmal neu zu denken. Jedenfalls erscheinen mir die Visualisierungen mit Blick in Richtung Osten zum geplanten Elbtower eher wie Dystopien statt Utopien einer modernen Stadt, bei denen ich nur darauf warte, dass sich plötzlich ein Batman wie in Hollywoods „Gotham City“ an seinem Seil durch die Straßenschluchten schwingt. Auf Erden könnte man im Kirchenschiff von St. Katharinen den Blick nach Osten üben: Holt die Blumen in die Stadt zurück mit Artenvielfalt und Grün. Auf dass der Engel sein Feuerschwert in die Elbe schmeißt und stattdessen zu Blasinstrumenten greift, um uns aufzuspielen mit Musik und Tanz in der urbanen, grünen und florierend resilienten Stadt am Wasser.“
Frank Engelbrecht

Bitte antworten Sie, liebe Leser:innen und User:innen, unserem HCZ-Kolumnisten Frank Engelbrecht zu seiner Meinung für mehr Grün- und Freiflächen in der HafenCity und einem Flutschutz-Sperrwerk in der Elbe unter: 
HCZ-pro@hafencityzeitung.com

Contra: »Wir brauchen mehr Urbanität!« 

Jörg Munzinger erlebt das HafenCity-Konzept als eine gelungene Symbiose:
„Nein, die HafenCity bietet die perfekte Symbiose aus dichtem Innenstadtviertel und großzügigen Freiräumen mit Parks, grünen Promenaden und Wasserflächen. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, woher das Drängen nach mehr Grün kommt. Im Zentrum einer Millionenstadt zu leben, Konsum- und Kulturangebote in fußläufiger Entfernung für sich in Anspruch zu nehmen und gleichzeitig die Wildnis vor seiner Haustür zu fordern ist für mich entweder naiv oder ein besonders ausgeprägter Eigennutz. 

Jörg Munzinger ist Projektentwickler und Architekt und diskutiert in der HCZ-Reihe „Pro&Contra – Die -Debatte“ als Partner mit Pastor Frank Engelbrecht über seine Eindrücke und Beobachtungen in der HafenCity.  Seine Leidenschaft sind Immobilien, Architektur und Städtebau. Er wohnt in der HafenCity. © Privat
Jörg Munzinger ist Projektentwickler und Architekt und diskutiert in der HCZ-Reihe „Pro&Contra – Die -Debatte“ als Partner mit Pastor Frank Engelbrecht über seine Eindrücke und Beobachtungen in der HafenCity. Seine Leidenschaft sind Immobilien, Architektur und Städtebau. Er wohnt in der HafenCity. © Privat

Träume dieser Art sind nicht neu. Kurt Tucholsky hat diese in einem Gedicht 1927 sehr passend beschrieben: „Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – aber abends zum Kino hast du’s nicht weit.“ Dabei ist die HafenCity schon nah beim Ideal, die Aussicht maritim- mondän, vorn Horizonte und Weite am Elbstrom, hinten funkelndes Großstadtflair. Durch Wasserlage und Parks sind nicht nur hochattraktive, grüne Erholungsflächen entstanden, sondern auch ein Modell der klimagerechten Stadt. Durch die Hafenbecken entsteht ein Mikroklima, das bei Extremwetter mit Tropennächten vor Überhitzung und bei Starkregen vor Überflutung schützt. In der HafenCity gibt es flächendeckend Straßenbäume. Noch sind die Bäume an den Straßen recht klein, sodass man es erst erahnen kann, wie prächtig die Alleen den Stadtteil einmal prägen werden. 

Der Lohsepark bietet mit seinen 4,5 Hektar, 500 Bäumen und einer weiten Sichtachse einen grünen Ruhepol inmitten der Stadt. Wer trotzdem noch nach Wildnis sucht, kann über den wohl schönsten Radweg der Stadt, am Oberhafen entlang, in 15 Fahrradminuten dichteste Wildnis auf der Elbinsel Kaltehofe erreichen.  

Trotz der vielfältigen Angebote gibt es die Forderung nach mehr Grün, oft begründet mit dem Klimaschutz. Klimagerechte Stadtentwicklung entsteht aber nicht, wenn sie dem Wünsch-dir-was von Einzelinteressen folgt. Hamburgs großer Stadtplaner Fritz Schumacher hat die Stadt als Organismus im Ganzen verstanden. Sein in den 1920er-Jahren entwickeltes Achsen-Modell gilt noch heute und hilft auch bei künftigen Herausforderungen durch Klimaveränderung. Er sah in seinem Konzept eine Begrenzung dichter Bebauung auf das Stadtzentrum vor, von dem fächerförmige Entwicklungsachsen ausgehen. Zwischen diesen Achsen gibt es Grünzüge. Erst durch das Zusammenspiel von urbaner Dichte auf der einen und vernetzten Grünzügen auf der anderen Seite entstehen positive Effekte für das Stadtklima: Frischluftschneisen schützen vor sommerlicher Überhitzung, Überflutungsflächen vor Starkregen und kilometerlange Grünachsen bieten Raum für Biodiversität. 

Grünflächen sollten daher dort entstehen, wo der Organismus der Stadt sie braucht, nicht, wo Einzelne sie gerne hätten. Der Lohsepark ist ein Teil des grünen Organismus im Sinne von Schuhmachers Konzept. Als breite grüne Fuge verbindet diese Art „Central Park“ die grüne Wallring-Achse mit der Elbe. Die HafenCity ist hier Teil des hoch verdichteten Stadtzentrums, das uns die Chance für einen ressourcenschonenden Lebensstil bietet.

Wie passt eigentlich Schuhmachers Konzept zur Forderung eines Nachbarschaftsvereins, keine weiteren Gebäude am Lohsepark zu errichten? Um dafür die Baufelder „als Park, als Brache, als Natur zu belassen“. Damit wird eine Richtungsentscheidung erzwungen: abzuwägen zwischen Allgemeinwohl oder Einzelinteressen, zwischen klimaneutralem Stadtumbau oder grüner Selbstverwirklichung. 

Es ist für mich aberwitzig, in so zentraler Lage über Urban Gardening und Bauspielplätze nachzudenken anstatt über ein Kontorhaus mit Tausenden Arbeitsplätzen und Erweiterungsflächen für die Deichtorhallen. Einerseits leistet sich Hamburg am Hauptbahnhof eine Verkehrsinfrastruktur für 500.000 Passanten täglich, um dann andererseits auf einem Grundstück in kurzer, fußläufiger Entfernung eine grüne Brache zu planen, damit Anwohner des Lohseparks weiterhin ihren Weitblick genießen und ihren Hund ausführen können. Das kann weder im Sinne des Allgemeinwohls noch für Natur und Klima gut sein. 

Der Flächenbedarf einer wachsenden Stadt, egal ob zum Wohnen oder Arbeiten, entsteht entweder auf der grünen Wiese am Rand oder durch Verdichtung im Inneren. Der Preis dafür wäre, dass wenige Privilegierte der HafenCity eine Wildnis vor der Haustür genießen, während eine größere Mehrheit immer weitere Wege zwischen Wohn- und Arbeitsort zurücklegen muss. Ich glaube, Fritz Schumacher hätte sich das hier etwas anders vorgestellt. Woher kommt also das Drängen nach mehr Grün? Geht es um Eigennutz, um Ökoromantik oder um einen Beitrag zur Klimaneutralität? Beim Klima müssen wir ehrlich bleiben: Für die Natur wäre es am besten, wenn wir in dichten Quartieren auf kleineren Flächen leben und dabei möglichst wenig Ressourcen verbrauchen. Noch einmal zur Eingangsthese: Die HafenCity braucht nicht mehr Grün, sondern mehr Urbanität, mehr Dichte und mehr Vielfalt.“ Jörg Munzinger

Bitte antworten Sie, liebe Leser:innen und User:innen, unserem HCZ-Kolumnisten Jörg Munzinger zu seiner Meinung für mehr Urbanität, mehr Dichte und mehr Vielfalt unter: HCZ-contra@hafencityzeitung.com

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