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Moderne Malerei in einem möglichen HafenCity-Art-Museum: Dorothea Maetzel-Johannsen, Mitbegründerin der Hamburger Sezession, „Zwei Mädchen mit Katze“ (Ausschnitt), 1926, Öl auf Leinwand, Sammlung Bruhns. © Sammlung Bruhns | Hayo Heye
Überseequartier Süd: Kultur statt Terminal

Corona stellt das Leben auf den Kopf, auch manche Projekte – irgendwie. Iris Neitmann, Architektin, Galeristin (StadtLandKunst) und HafenCity-Bewohnerin der ersten Stunde, schlägt für das Cruise Center HafenCity im südlichen Überseequartier eine spannende Nutzungsänderung vor. Lassen Sie sich überraschen – im Namen der HCZ-Reihe „2040 – Hamburg wird klimaneutral“

© Illustration: Tobias Hahn; HafenCity Zeitung
© Illustration: Tobias Hahn; HafenCity Zeitung

Zwischen Innenstadt und Elbe.
Das Überseequartier Süd, ist zurzeit eine riesige Baustelle am Ende des Überseeboulevards ist ein Filetgrundstück zwischen Innenstadt und Elbe – direkt am Wasser und im Herzen der HafenCity gelegen. Die für diesen Ort bisher in der Entwicklung maximierten Flächen aus Wohnen, Einzelhandel, Gastronomie, Entertainment, Büros und Kreuzfahrtterminal wurden frühzeitig von Stadtplaner*innen und Architekt*innen als überdimensioniert kritisiert, als gefährdend für die bestehenden Einzelhandelsflächen in HafenCity und der Innenstadt. 
Foto oben: Moderne Malerei in einem möglichen HafenCity-Art-Museum: Dorothea Maetzel-Johannsen, Mitbegründerin der Hamburger Sezession, „Zwei Mädchen mit Katze“, 1926, Öl auf Leinwand, Sammlung Bruhns. © Sammlung Bruhns | Hayo Heye 

Internationale Kulturmeile: Vom gewünschten Fähranleger Science Center Hamburg über die Elbe auf den Grasbrook zum Deutschen Hafenmuseum mit der „Peking“ übersetzen. © HERZOG & DE MEURON | VOGT
Internationale Kulturmeile: Vom gewünschten Fähranleger Science Center Hamburg über die Elbe auf den Grasbrook zum Deutschen Hafenmuseum mit der „Peking“ übersetzen. © HERZOG & DE MEURON | VOGT


Sie wiesen auf eine zu erwartende zu hohe Belastung der umgebenden öffentlichen Straßenräume hin: durch zu starke Verschattung, Windbeschleunigung und ein nicht erträgliches Verkehrsaufkommen – vor allem durch den Anlieferverkehr für das Überseequartier. Diese Kritik zeigt sich immer deutlicher als berechtigt, auch, weil die Verantwortlichen sich schwer tun, ein schlüssiges Verkehrskonzept vorzulegen. 

Kultur als Herz der HafenCity.
Was könnte denn an diesem wunderbaren Standort die Stadt nachhaltig bereichern als das künftige „Herz der HafenCity”? Schon vor der Corona-Krise hat am 8. Februar 2020 die Initiative „Lebenswerte HafenCity“, die ich seinerzeit mit aus der Taufe gehoben habe, den Hamburger Regierungsparteien dazu Ideen vorgelegt. Vorschläge: Reduzierung der übergroßen Einzelhandelsflächen zugunsten von Wissenschaft, Kultur und Bildung; mehr Wohnungen, damit mehr Nachbar*innen auf kurzem Weg die Läden erreichen; Gestaltung der umgebenden Straßen als attraktive Freiräume, die zum Flanieren einladen. 

Portät von „Eileen Gray“, irische Innenarchitektin und Designerin, 1926. © Berenice Abbott
Portät von „Eileen Gray“, irische Innenarchitektin und Designerin, 1926. © Berenice Abbott

Der – etwa für mehr Wohnungen notwendige Entfall des Kreuzfahrtterminals – eröffnet wichtige Chancen. Erstens würde der mögliche Wegfall des Cruise Centers den Blick auf die Elbe in der San-Francisco-Straße erhalten. Ferner würde zweitens eine vom Anlieferverkehr entlastete San-Francisco-Straße zu einem schönen Platz am Wasser führen, sonnig und windgeschützt, der zum Verweilen und Träumen einladen könnte. Darüber hinaus wären drittens mit einem klassischen einfachen Schiffsanleger statt Kreuzfahrtterminal einerseits keine Sperrungen des Elbufers für die Liegezeiten großer Schiffe und der Anleger verbunden, andererseits könnten zu einer Überfahrt zum künftigen Deutschen Hafenmuseum gegenüber auf dem Grasbrook, zu den Musicaltheatern gegenüber den Landungsbrücken im Süden oder zu den Kreuzfahrtterminals im Westen in Altona oder auf Steinwerder genutzt werden. Angrenzend an diesen Ufer-platz könnten ein wissen-schaftlicher Dialog und -Lernort sowie ein Museum für moderne Kunst attraktive Ankernutzungen sein, die das Überseequartier Süd bereichern. Wie sagte doch jüngst auf NDR Kultur die Sängerin der schwedischen Folk-Pop-Band „Fjarill“: „Kultur ist nicht nur Unterhaltung, Kultur ist die Seele der Menschheit. Wenn das wegfällt, dann fällt unsere Kreativität und unsere Freude am Leben weg.”

Projekt Science Center.
Ein Science Center an diesem Standort, wie es zu Beginn der Überseequartierplanungen schon einmal angedacht war, kann in einer Zeit ein attraktiver Magnet sein, in der – nicht zuletzt auch durch die Corona-Pandemie – Wissenschaft und Forschung sowie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz ein breites Interesse wachrufen. Schon immer, aber heute mehr denn je. Das zeigt auch das Science Center in Heilbronn, die „Experimenta”, deren Fläche wegen des übergroßen Besucherinteresses gerade von 7.500 auf 25.000 Quadratmeter erweitert worden ist. 

Ein Science Center in Hamburg könnte wie das Guggenheim-Museum Bilbao ein Publikumsmagnet in direkter Wasserlage sein: Die Initiative „Science Center Hamburg” nutzt diese Erfahrungen und wird von vielen Hamburger Forschungsinstituten, Stiftungen und Verbänden unterstützt. Auch der prominente Klimaforscher Mojib Latif aus Kiel ist im Vorstand des Fördervereins aktiv. Das Konzept des Science Centers Hamburg „basiert auf der Kombination einer wissenschaftlichen Erlebnis- und Entdeckerausstellung mit dem Ziel, alle Teile der Bevölkerung zu erreichen. © Museo Guggenheim Bilbao
Ein Science Center in Hamburg könnte wie das Guggenheim-Museum Bilbao ein Publikumsmagnet in direkter Wasserlage sein: Die Initiative „Science Center Hamburg” nutzt diese Erfahrungen und wird von vielen Hamburger Forschungsinstituten, Stiftungen und Verbänden unterstützt. Auch der prominente Klimaforscher Mojib Latif aus Kiel ist im Vorstand des Fördervereins aktiv. Das Konzept des Science Centers Hamburg „basiert auf der Kombination einer wissenschaftlichen Erlebnis- und Entdeckerausstellung mit dem Ziel, alle Teile der Bevölkerung zu erreichen. © Museo Guggenheim Bilbao

Die Initiative „Science Center Hamburg” nutzt diese Erfahrungen und wird von vielen Hamburger Forschungsinstituten, Stiftungen und Verbänden unterstützt. Auch der prominente Klimaforscher Mojib Latif aus Kiel ist im Vorstand des Fördervereins aktiv. Das Konzept des Science Centers Hamburg „basiert auf der Kombination einer wissenschaftlichen Erlebnis- und Entdeckerausstellung mit dem Ziel, alle Teile der Bevölkerung zu erreichen. Die maritimen Elemente des Wetters und des Extremwetters bieten hierfür einen Einstieg, von dem aus sich den Besucher*innen das noch Unbekannte aus der Welt der Naturwissenschaften und der technologischen Entwicklung erschließt”, so das Selbstverständnis der Ini-tiatoren. Das Haus will „ein Forum des Dialogs auch für Veranstaltungen, Kongresse und Sonderausstellungen” sein. Dass sich die Initiative als Standort für ein solches Science Center Hamburg für die HafenCity und die Wasserlage entschieden haben, hat einen guten Grund: „An kaum einem anderen Standort erfolgt die Verzahnung zwischen Innovation, Wissenschaft, Wirtschaft, Nachhaltigkeit, Tourismus, Zukunft und dem allgegenwärtigen Umgang mit dem Klimawandel so kompakt wie in der HafenCity Hamburg.” 

Projekt HafenCity Art.
Das angedachte Museum ist eine Kulturortinitiative für bildende Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Private und institutionelle Sammlungen werden Werke als Leihgaben sowohl für eine Basis-Sammlung als auch für Wechselausstellungen zur Verfügung stellen. Zusätzlich werden internationale Künstler*innen zu Sonderausstellungen eingeladen. HafenCity Art richtet sich an alle Generationen und ist offen für Kooperationen mit der HafenCity Universität (HCU) und dem Science Center zu besonderen Themen. Geplant sind für HafenCity Art drei Themenschwerpunkte: 
Zeitzeugnisse und Inspiration. Die Lebenswerke bildender Künstler als Pioniere ihrer Zeit sind faszinierend und inspirierend, wie in der HafenCity zwei Ausstellungen bereits gezeigt haben. 
Die Schau „Eileen Gray – Ikone der Moderne. Ihr Lebenswerk 1912 bis 1976” und „El Shatt – Kultur als Überlebensstrategie. 30.000 Flüchtlinge in der ägyptischen Wüste 1944-46”. Der deutsche Künstler R.G. Bunk arbeitete zusammen mit weiteren Künstlern federführend in kultureller Bildung, Malerei, Bühnenbild und Inszenierung in dem Zeltlager El Shatt. Bunk – später in Split vielfach ausgezeichneter Maler und Bühnenbildner – wurde als künstlerischer Berater in die Nutzung und Gestaltung städtischer Räume einbezogen. Die Ergebnisse seiner Arbeit sind bis heute aktuell.

Glaskunst als spannendes Genre der Gegenwartskunst: „Wedges“, Keile von Josef Marek, 1963. © Glasgalerie Stölting
Glaskunst als spannendes Genre der Gegenwartskunst: „Wedges“, Keile von Josef Marek, 1963. © Glasgalerie Stölting

Anfänge der Moderne / Hamburgische Sezession.
In den 20er Jahren entwickelte sich in Europa eine Avantgarde, die die bildende Kunst bis heute prägt. HafenCity Art widmet sich den Anfängen dieser Moderne – international und in Hamburg. „Den Ausstellungen und Aktivitäten der ,Hamburgischen Sezession’ verdankte Hamburg während der Weimarer Republik den Anschluss an die internationale Avantgarde”, sagt Dr. Maike Bruhns, Kunsthistorikerin und -sammlerin. „In den 20er und frühen 30er Jahren“, so Bruhns weiter, „verwirklichte sie in Hamburg ein Klima kultureller Weltoffenheit und Fortschrittlichkeit.” Wertvolle Schätze aus dieser Zeit warten noch auf ihren Weg in die Öffentlichkeit. 

Gegenwartskunst und Glaskunst.
HafenCity Art will der Gegenwartskunst aus unterschiedlichen Genres Raum geben. In Hamburg finden sich dafür unter anderen wichtige Akteure internationaler Glaskunst, deren Entwicklung in den 50er Jahren in der Tschechoslowakei begann. Glas ist eines der schönsten und schwierigsten Materialien in der Kunst. Es fasziniert wie kein anderes, kann leicht und zerbrechlich wirken, aber auch massiv wie Stein. Es ist ein Material, das durch Licht lebt, sich dadurch verändert und für Künstler unendliche Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Auch HafenCity Art fokussiert sich wie das Projekt Science Center Hamburg auf den Standort: „Die HafenCity ist ein guter Ort, um kulturelle Weltoffenheit und Fortschrittlichkeit lebendig zu halten.”

Moderne Malerei in einem möglichen HafenCity-Art-Museum: Dorothea Maetzel-Johannsen, Mitbegründerin der Hamburger Sezession, „Zwei Mädchen mit Katze“ (Ausschnitt), 1926, Öl auf Leinwand, Sammlung Bruhns. © Sammlung Bruhns | Hayo Heye
Ein mögliches Highlight der Hamburger Sezession im Rahmen von Moderner Malerei in einem möglichen HafenCity-Art-Museum: Dorothea Maetzel-Johannsen, Mitbegründerin der Hamburger Sezession, „Zwei Mädchen mit Katze“ (Ausschnitt), 1926, Öl auf Leinwand, Sammlung Bruhns. © Sammlung Bruhns | Hayo Heye

Ausblick. 
Die Ideen der Initiativen Lebenswerte HafenCity, Science Center Hamburg und HafenCity Art führen gegenüber der bisherigen Planung eines Kreuzfahrtterminals im Überseequartier Süd zu mehr Vielfalt, Attraktivität und Lebensqualität. Sie leisten außerdem einen wichtigen Beitrag zur Reduktion der Luftbelastung und der CO2-Emissionen aus dem Verkehr beitragen. Die Ergänzung der Kulturmeile von der Kunsthalle am Glockengießerwall mit dem Museum der Gegenwart über Kultur- und Wissenschaftsprojekt im Überseequartier über die Elbe auf den Grasbrook zum Deutschen Hafenmuseum würde die Entwicklung Hamburgs zur einer internationalen Kulturmetropole mit starkem Fokus auf eine nachhaltige Verbindung von Naturwissenschaft, Ökologie und Kultur stärken und ausbauen.

Für mich als Architektin und engagierte Großstadtbewohnerin ist die Stadtplanung eine Königsdisziplin der Künste. Es liegt jetzt bei der Stadt und ihren Vertretern in den Fraktionen der Bürgerschaft sowie in den Bezirksversammlungen, mutig und schnell eine frühere Planung aktuell zu überprüfen und zu modifizieren – für ein lebenswertes, nachhaltiges, das Potenzial des Standorts wahrnehmendes Herz einer wissenschaftlich-technisch fortschrittlichen und kulturell weltoffenen HafenCity. Iris Neitmann

INFO
Kulturort-Initiative für ­Bildende Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts
c/o Iris Neitmann, Forum, StadtLandKunst, Am Sandtorpark 12, 20457 Hamburg, neitmann@stadtlandkunst-hamburg.de

Förderverein Science Center, c/o Dr. Alfred Lumpe, Elb­chaussee 43, 22765 Hamburg; alfredlumpe@aol.com

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